Buchbesprechung: „Toleranz – einfach schwer“ von Joachim Gauck

Ex-Bundespräsident Joachim Gauck hat seine Gedanken zum Thema Toleranz niedergeschrieben. Er hätte es lieber sein lassen sollen. Eine Buchbesprechung.

Ein guter Freund warnte mich immer davor meine Idole auch mal persönlich zu treffen. Ich könnte erschrecken. Diesen Ratschlag muss man um einen weiteren Punkt erweitern. Man sollte die Bücher seiner in Rente gegangenen Idole nicht lesen. Diesen Fehler habe ich bei Joachim Gauck gemacht und mein komplettes, stilisiertes Bild des Ex-Bundespräsidenten ist in sich zusammengefallen.

Selten neige ich dazu ein Buch völlig zu zerreißen. Hier war ich dem erneut sehr nahe. Insgesamt hat Gauck sich ein kompliziertes Thema ausgesucht, dass er versucht hat in all seinen Dimensionen zu betrachten und mit Fallbeispielen aus unserer heutigen Zeit auch zu unterfüttern. Dabei strotzt das Buch aber von einer Schreibart, wie man sie nur „alten, weißen Männern“ zugestehen würde. Der Bundespräsident a.D. macht hier aber keine Anstalten, sich überhaupt eine Mühe für echte Differenzierung zu geben.

Islam und Joachim Gauck

Am deutlichsten wird das beim Themenfeld Islam. Hier muss man sogar erschrecken, wie schnell Ideologie und Religion unter einen Hut gebracht und schon simpelste Religiosität in Bezug auf den Islam als problematisch beschrieben wird. Dabei sind Vergleiche und Input auch fragwürdig. Einige Passagen haben sich so gelesen, als würde gerade ein Berater der AfD eine Blaupause zeichnen, warum „Der Islam“ eben nicht kompatibel mit „unseren“ Wertvorstellungen ist. Doch nicht nur beim Thema Islam versagt Gauck.

Insgesamt fällt das Buch oft zurück in eine Betrachtungsweise, die wir heute nicht nur als konservativ, sondern reaktionär bezeichnen würden. Dabei gibt Gauck zwar immer wieder vor, dass man die Gesellschaft vor der Intoleranz schützen und gerade gegenüber Intoleranten auch Intoleranz üben müsse, aber letztlich sind die Übergänge, der ideellen Vorstellungen gar nicht mal so weit davon entfernt, wie Gauck sich selbst glauben machen möchte. Dazu kommt eine klassische relativierende Art, die in diesem Buch sehr häufig zutage tritt.

Gauck ist relativierend und reaktionär

Beispielsweise, wenn Gauck den Rechtsextremismus als größte Gefahr betitelt, aber gleichzeitig sagt, man dürfe natürlich den Linksextremismus nicht vergessen, der sei mindestens genauso gefährlich. Solche Formen von Relativierungen treten immer wieder zutage. Letztlich bezieht Gauck Stellung und formiert sich irgendwo zwischen Rechts und Rechtsextrem. Ohne dies wirklich klar begriffen zu haben. Er verteidigt Dinge, die heute und mit Blick auf jüngste politische Entwicklungen in den USA höchst fragwürdig sind: Beispielsweise das Sprechen mit Menschen, die AfD wählen oder mit der Pegida marschiert sind.

Die Meinung von Gauck sei diesem unbenommen. Aber auch hier muss man sagen, dass die Toleranz gegenüber diesem Buch und einer Meinung eines Ex-Bundespräsidenten nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass hier Ressentiments bedient werden und relativierend sogar Menschenfeindlichkeit und Rassismus salonfähig gemacht werden. Die AfD hätte sich vermutlich keinen besseren Fürsprecher ausdenken können. Gauck besetzt jedenfalls die Themen aus diesem Spektrum und findet das gar nicht so problematisch.

Kein Buch zum Weiterempfehlen

Ich für meinen Teil halte sein Buch und seine Quellen, die er für seine Schlussfolgerungen genutzt hat, in vielerlei Hinsicht für problematisch. Von einem Lesen und sich damit belasten wird gewarnt, wenn man nicht gerade dem extrem-konservativen oder rechten Spektrum angehört oder tiefergehend verstehen möchte, wie dieses Spektrum, gerade mit einer Sozialisation aus dem Osten, tickt. Es ist enttäuschend erst durch so ein Buch über die Gedankenwelt eines früheren Idols zu stolpern. In Sachen Toleranz hat Gauck jedenfalls schwer versagt. So schwer ist das nämlich nicht, wenn man es wirklich möchte.

Titel: Toleranz – einfach schwer
Autor: Joachim Gauck mit Helga Hirsch
Verlag: Goldmann
ISBN: 978-3-442-14261-3

Akif Şahin

Akif Şahin aus Hamburg. Arbeite als SEO-Manager für eine der größten Bildungs-Gruppen in Europa. Als Muslim interessiert mich die Geschichte und Kultur des vorderen Orients. Auf diesem Blog gibt es Einsichten, Aussichten und Islamisches.

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