In seinem neuen Buch „Muslimaniac“ schreibt Ozan Zakariya Keskinkılıç über antimuslimischen Rassismus und das Feindbild Islam. Dabei berichtet Keskinkılıç aus seinem eigenen Erfahrungshorizont, bricht mit dogmatischen Anschauungsweisen und entlarvt kolonialistische Denkmuster in gesellschaftlichen Debatten. Es wäre ein hervorragendes Buch, würde sich der Autor nicht in der Opferrolle festfahren.
Eigentlich sollten diese Zeilen anders ausfallen. Doch dann habe ich mich entschieden, den Text umzuformulieren. Ich habe seit Freitag das Buch von Keskinkılıç mit gemischten Gefühlen gelesen. Auf der Zugfahrt nach Bonn hat mich erschreckt, wie sehr der Autor in seiner eigenen Gefühlswelt sich einer möglichen Scham offenbar gibt. Ich kenne das nur zu gut von Gesprächen mit Jugendlichen.
Die Eltern, Gastarbeiter, die den Putzjob verrichten und für die man sich schämt. Doch das ist es nicht, was mich bei Keskinkılıç stört. Er weint, weil er sich ausmalt, seine Tochter könnte sich für ihn schämen oder ihm nicht verzeihen, dass sie als weiße, blonde Person einen Nachnamen wie „Keskinkılıç“ tragen muss. Ausgrenzungsprobleme und binationale Eheprobleme hoch drei. Das kann nur verstehen, wer das selbst erlebt hat.
Stolz sein auf die eigene Herkunft?
Niemand kann verstehen, was in Keskinkılıç vorgeht und wie viel von dem geschriebenen nun Wirklichkeit oder Dichtung ist. Dennoch ist über den Twitter-Account bekannt, dass der Autor ein inniges Verhältnis zu seiner kleinen Tochter pflegt und mit dem Struggle leben muss, den er beschreibt. Wer soll ihm das verdenken, wenn daraus das Gefühl erwächst, man könnte vom eigenen Kind verstoßen werden?
Das können Menschen wie ich, die sich nie darüber Gedanken machen mussten, kaum verstehen. Ich bin ein Kind von Gastarbeitern und stolz auf meine Eltern, die drei Kinder in Deutschland großgezogen haben, trotz aller Widrigkeiten und ohne viele Sprachkenntnisse je erlernt zu haben. Meine Eltern haben meinen sozialen Aufstieg ermöglicht, indem sie Tag und Nacht für meine älteren Geschwister und mich gearbeitet haben.
Herkunft und Zugehörigkeit
Ich kann das heute frei artikulieren und bin froh, ein Arbeiterkind zu sein, das sich immer noch das soziale Umfeld aus seiner Jugend schützen und sichern konnte. Trotzdem sind mir die Menschen in meinem Umfeld aber manchmal sehr fremd. Sozialer Aufstieg bedeutet auch Einsamkeit. Und dieses Gefühl teilen viele junge Menschen. Sie können mit ihrer Herkunft und dem Zugehörigkeitswunsch in dieser Gesellschaft nicht umgehen. Sie sehen sich fremd und werden von großen Teilen der Gesellschaft zu Fremden gemacht.
Doch was ist die Antwort auf diese Probleme? Keskinkılıç beschreibt in seinem Buch autobiografisch, aber auch anhand zahlreicher Beispiele aus Geschichte und Kultur, was schiefläuft, was schiefgelaufen ist und warum Muslime als Feindbild betrachtet werden. Einen echten Ausweg bietet das Buch jedoch aus dem Dilemma nicht an. Es ist vielmehr eine Aneinanderreihung der Opferrolle, in die man sich flüchtet.
Muslimaniac ist Opfer
Die Figur des Muslimaniac ist in diesem Buch ein Opfer, das nicht aus seiner Rolle ausbrechen kann. Es erhält Versprechen, wird zur Integration und Moderne getrieben und bleibt dennoch außen vor. Es fehlt dem Muslimaniac an einer Stimme und Menschen, die ihm zuhören, und der Muslimaniac wird als globales Kollektiv wahrgenommen, das nicht individuell denken und handeln kann. Der Muslimaniac wird exotisiert und zugleich als barbarisch ausgemacht. Teilhabe bleibt dem Muslimaniac fremd.
All diese Punkte werden anhand verschiedener Kapitel näher erläutert. Der Autor schreibt aus einer linken Perspektive und spart dabei nicht an Einblicken in die Geschichte und den Umgang Europas oder Deutschlands mit seinen „Orientalen“. Die Kolonialismus-Kritik ist dabei dem Autor am besten gelungen, wo er insbesondere zu den aktuellen (Integrations-)Debatten die Parallelen zieht. Hier fehlt es nicht an Kritik, sondern an Lösungsvorschlägen.
Queerdschihad und Islam
Was mir hingegen ausgezeichnet gefallen hat, sind die Kapitel über den Queerdschihad, das sich mit Dogmen und neuen globalen Netzwerken queerer Muslime beschäftigt. Darauf folgen die Kapitel, in denen der Autor sowohl seinen lyrischen als auch islamischen Verständnissen Raum gibt. Es sind die kürzesten Kapitel im Buch mit den vermutlich wichtigsten Hinweisen.
Und am Ende wird eben das deutlich, was ich zu Anfang vorwarf. Der Autor ist ein Gefangener des Diskurses und schreibt zum Schluss einen Aufruf auf, der jedoch angesichts der eingenommenen Rolle verpufft. Keskinkılıç gibt an, lieber ein „böser Muslim“ zu sein, der den Mund öffnet und kritisiert.
“Jemand, der ohne Scham und ohne Angst muslimisch ist.”
Doch genau hier liegt das Problem. Das Flüchten in die Opferrolle und die eigene Herkunft als etwas Schamhaftes wahrzunehmen, kann auf diesem Weg zu einem Muslim ohne Scham und ohne Angst nur hinderlich sein. Gleichzeitig braucht es für eine Lösung sowohl Ziele, die in einer Vision als auch einer Mission umgesetzt werden müssten. Doch Keskinkılıç bleibt diese Ideen schuldig.
Am Ende ist das Buch zwar gut, spricht die Probleme auch sehr gut an und bietet viele interessante Einblicke und auch neue Dinge, die man in dieser Form nur wenig kannte, doch es bleibt eben aus einer Opferrolle geschrieben, die nicht klar erklären kann, wie es weitergehen soll. Es erinnert dabei viel zu sehr an Aktivisten, die ständig „Rassismus“ schreien, aber keinen Beitrag zur Lösung liefern wollen.
Das Problem zu beschreiben ist ein wichtiger Schritt, doch worin liegt nun die Lösung? Einen Hinweis liefert die letzte Seite im Buch, in der viele verschiedene selbst motivierende Floskeln folgen und vermutlich mit dem vorletzten Satz die Idee der Desintegration von Max Czollek aufgegriffen werden soll:
Jemand, der den Versuchungen der Integration widersteht, der die deutsche „Leitkultur“ stört.
Titel: Muslimaniac
ISBN: 978–3–89684289-3
Verlag: Edition Körber
Buchbesprechung: Muslimaniac