Prophetentum im Islam
Der Glaube an die Propheten (as) ist die vierte Säule des Iman. Aus islamischer Sicht bedeutet Prophetentum, dass Allah (swt) bestimmte Menschen als seine Gesandten auswählt – als Botschafter zwischen ihm und den Menschen. Diese Propheten (as) waren die besten Seiner Schöpfung. Sie wurden als Wegweiser geschickt, um die Menschheit zur Wahrheit zu führen. Denn die Menschen haben diese Wegweisung zu jeder Zeit gebraucht.
Warum Propheten (as)?
Die Menschen können zwar aus der Schöpfung auf die Existenz Gottes schließen (vgl. Sura Ar-Rum, 30:20–27), doch ohne Offenbarung wären sie nicht in der Lage, Seine Eigenschaften, den Weg des Gottesdienstes oder das Leben nach dem Tod zu erkennen. Ohne Propheten (as) wüssten die Menschen nicht, wie sie Allah (swt) anbeten, wie sie im Diesseits wie im Jenseits Glückseligkeit erlangen oder was Recht und Unrecht ist. Deshalb sandte Allah (swt) Propheten (as), um diese Erkenntnisse zu lehren und die Menschen aufzuklären.
Die Mission der Propheten (as)
Die Aufgabe der Propheten (as) war es, die Menschen über die Einheit Allahs (swt), die Grundlagen des Glaubens, religiöse Vorschriften und moralische Prinzipien zu unterrichten. Sie waren Lehrer, Vorbilder und Führer zugleich. Trotz Anfeindungen durch Ungläubige erfüllten sie ihre Mission mit Geduld, Standhaftigkeit und außergewöhnlichem Charakter. Ihre Wunder bestätigten ihre Wahrheit und ihre Botschaft: das Paradies für die Gläubigen, die Strafe der Hölle für die Bösen.
Besonders deutlich wird ihre Mission auch in Sura An-Nahl (16:36):
„Und Wir haben ja in jeder Gemeinschaft einen Gesandten erweckt: ‚Dient Allah und meidet die falschen Götter!‘“
Nabi und Rasul – ein theologischer Unterschied
In der islamischen Theologie wird häufig zwischen Nabi (Prophet) und Rasul (Gesandter) unterschieden. Ein Rasul bringt eine neue Offenbarung oder ein neues Gesetz (Scharia) zu seinem Volk, während ein Nabi die bereits bestehende Botschaft weiterträgt. Diese Unterscheidung hilft, das unterschiedliche Wirken der Propheten (as) besser zu verstehen. Der Prophet Muhammad (saw) war sowohl Nabi als auch Rasul und brachte mit dem Koran eine neue vollständige Offenbarung.
Die Eigenschaften aller Propheten (as)
Alle Propheten (as) zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus:
- Wahrhaftigkeit (Sidq): Sie sprachen stets die Wahrheit.
- Vertrauenswürdigkeit (Amanah): Sie waren vertrauenswürdig und bewahrten jedes anvertraute Gut.
- Verstand (Fatanah): Sie waren klug, weise und geistig überlegen.
- Unfehlbarkeit (Ismah): Sie begingen keine Sünden – weder öffentlich noch im Verborgenen.
- Verkündigung (Tabligh): Sie übermittelten die Offenbarung Allahs (swt) vollständig und unverändert (vgl. Sura Al-Ahzab, 33:39).
Diese Eigenschaften gelten als theologisch fest verankert und sind u. a. in klassischen islamischen Werken wie „Al-Aqidah at-Tahawiyyah“ überliefert.
Propheten (as) im Koran
Der erste Prophet war Adam (as), der letzte Muhammad (saw). Im Koran werden 25 Propheten namentlich erwähnt. Es gab jedoch weit mehr: Laut Überlieferungen sollen es über 124.000 oder gar 224.000 gewesen sein (vgl. Musnad Ahmad, Hadith 21257). Wir glauben an alle diese Propheten – bekannte und unbekannte – ohne zwischen ihnen zu unterscheiden (vgl. Sura Al-Baqara, 2:285).
Die 25 im Koran erwähnten Propheten:
- Adam
- Idris
- Nuh (Noah)
- Hud
- Salih
- Lut (Lot)
- Ibrahim (Abraham)
- Ismail
- Ishaq (Isaak)
- Yaqub (Jakob)
- Yusuf (Josef)
- Schuaib
- Harun (Aaron)
- Musa (Moses)
- Dawud (David)
- Sulaiman (Salomon)
- Ayyub (Hiob)
- Dhul-Kifl
- Yunus (Jonas)
- Ilyas (Elias)
- Al-Yasa
- Zakariyya
- Yahya (Johannes)
- Isa (Jesus)
- Muhammad (saw)
Einige Gelehrte zählen auch Al-Khidr (as), den Lehrer von Musa (as), zu den Propheten. Diese Ansicht ist jedoch umstritten.
Einheit der Botschaft – Vielfalt der Umsetzung
Jede von Allah (swt) offenbarte Religion war ursprünglich die wahre Religion (Din). Trotz zeitlicher und örtlicher Unterschiede hatten sie eine gemeinsame göttliche Botschaft, die sich in drei Kernthemen zusammenfassen lässt:
- Die Prinzipien des Glaubens (Iman):
Der Glaube an den einen Gott stand stets im Mittelpunkt. Alle Propheten riefen zur Anbetung Allahs (swt) auf und lehrten die zentralen Säulen des Iman – darunter auch der Glaube an die Engel, Bücher, das Jenseits und die Vorherbestimmung (vgl. Hadith Dschibril, Sahih Muslim Nr. 8). - Die religiösen Handlungen:
Die Propheten riefen zur Hingabe an Allah (swt) auf – durch Gebete, Fasten, Opfer, aber auch durch eine Lebensweise, die das eigene Ego zurückstellt und dem Wohl der Gemeinschaft dient. Ihre Botschaften führten zu spiritueller Disziplin und sozialen Reformen, wie etwa bei der Abschaffung von Götzendienst durch Ibrahim (as) oder der Reformation des Tempelkults durch Isa (as). - Die moralischen Gebote:
Propheten lehrten Werte wie Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Geduld. Diese ethischen Grundsätze leben bis heute in vielen Gesellschaften weiter – sei es durch die Zehn Gebote von Musa (as), die Lehren von Isa (as) oder die Rechtschaffenheit Muhammads (saw). Selbst moderne Rechtsordnungen wie das Grundgesetz spiegeln diese göttlich inspirierten Werte wider.
In der Präambel des Grundgesetzes heißt es:
„Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen … hat sich das Deutsche Volk dieses Grundgesetz gegeben.“
Der Hadith Dschibril – Zusammenfassung der islamischen Lehre
Ein zentrales Ereignis zur Verdeutlichung der Prophetenbotschaft ist der bekannte Hadith Dschibril (Hadith Gabriel). In ihm wird Muhammad (saw) vom Engel Gabriel (as) vor seinen Gefährten gefragt, was Islam, Iman und Ihsan bedeuten. Die Antworten des Propheten (saw) bilden die Grundlage für das islamische Glaubensverständnis. Dieser Hadith ist als komprimierte Zusammenfassung der gesamten Religion bekannt und steht am Anfang vieler islamischer Lehrwerke (vgl. Sahih Muslim, Nr. 8).
Zeugenschaft der Propheten am Tag des Gerichts
Ein oft übersehener Aspekt ist die Rolle der Propheten (as) am Tag des Jüngsten Gerichts. Sie werden Zeugnis ablegen über ihre jeweiligen Gemeinschaften – ob sie die Botschaft empfangen und wie sie darauf reagiert haben (vgl. Sura Al-Maida, 5:109). Diese Vorstellung betont die Verantwortung jedes Einzelnen, die Botschaft ernst zu nehmen und umzusetzen.
Die Liebe zu den Propheten (as)
Muslime sind dazu aufgerufen, die Propheten (as) nicht nur zu respektieren, sondern sie auch zu lieben. Besonders für den Propheten Muhammad (saw) gilt: Seine Liebe ist Teil des Glaubens. So heißt es in einem Hadith:
„Keiner von euch glaubt (vollständig), bis ich ihm lieber bin als sein Vater, sein Sohn und alle Menschen.“ (Sahih al-Bukhari, Hadith 15)
Diese Liebe drückt sich unter anderem in der häufigen Segensformel nach dem Namen des Propheten, in der Nachahmung seines Verhaltens (Sunnah) und im ehrfürchtigen Umgang mit seiner Biografie aus.
Prophetengeschichten in der islamischen Erziehung
Propheten (as) spielen in der islamischen Erziehung eine zentrale Rolle. Sie dienen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen als moralische Vorbilder. In Unterricht, Predigten oder islamischen Kinderbüchern wird durch ihre Lebensgeschichten Geduld, Vertrauen, Standhaftigkeit und Gottverbundenheit vermittelt. Besonders beliebt sind Geschichten über Yusuf (as), Musa (as) oder Isa (as), die auf kindgerechte Weise das Vertrauen in Allah (swt) und moralisches Verhalten lehren.
Vergleich mit dem Prophetentum in anderen Religionen
Das Konzept des Prophetentums existiert auch im Judentum und Christentum. Viele der im Koran erwähnten Propheten sind auch aus der Bibel bekannt. Im Islam gelten sie jedoch als durch Allah (swt) gesandte Übermittler der reinen göttlichen Botschaft – frei von Irrtum. Unterschiede bestehen unter anderem in der Auffassung über die Unfehlbarkeit der Propheten und den Verlauf der Offenbarungen. Der interreligiöse Dialog kann hier helfen, gegenseitiges Verständnis zu fördern, ohne die eigenen Glaubensgrundsätze zu relativieren.
Vervollständigung durch den Islam
Die Prinzipien der Religionen wandelten sich entsprechend den Zeiten und Bedürfnissen. Diese Veränderungen fanden mit der letzten Offenbarung ihr Ende: Mit dem Islam wurde die göttliche Botschaft vervollständigt und in ihrer endgültigen Form bewahrt.
Der Koran bezeugt in Sura Al-Maida (5:3):
„Heute habe Ich euren Glauben für euch vervollkommnet, Meine Gnade an euch vollendet, und Ich habe den Islam als Religion für euch erwählt.“
Muhammad (saw) ist das Siegel der Propheten (vgl. Sura Al-Ahzab, 33:40). Nach ihm wird es keinen weiteren Propheten geben. Der Koran bleibt die letzte göttliche Offenbarung – Quelle der Wahrheit, Rechtleitung, Ermahnung und moralischen Orientierung. Es liegt an uns, seinem Ruf zu folgen und durch unsere Taten eine gerechtere Welt zu verwirklichen.
Fußnoten:
[1] Din umfasst im Koran mehr als nur Religion – es beschreibt sowohl die Beziehung des Menschen zu Gott als auch die ihm auferlegten Verpflichtungen.
[2] Quelle zur Präambel: https://www.bpb.de/nachschlagen/gesetze/grundgesetz/44186/einleitung-und-praeambel