Das muslimische Subjekt von Levent Tezcan

Levent Tezcan schrieb bereits im Jahr 2012 über die erste Deutsche Islam Konferenz (DIK I). Seine Eindrücke über das “muslimische Subjekt” hielt er anschließend in einem Buch fest. Fast 10 Jahre nach der Veröffentlichung haben weder Inhalt noch Buch an Aktualität eingebüßt.

Wer verstehen möchte, wie der deutsche Staat versucht mit verschiedenen Mitteln, beispielsweise durch Einbindung und Anerkennung in der DIK, Einfluss auf die muslimischen Gemeinschaften und die Community zu nehmen, sollte unbedingt das Buch „Das muslimische Subjekt“ von Levent Tezcan lesen. Tezcan zeigt darin, wie „Muslime“ als Gruppe kulturalisiert und konstruiert werden und wie man mit solchem Vorgehen die deutsche Islampolitik als Machtinstrument benutzt.

Die deutsche Islampolitik wird weiterhin von einer kolonialistischen Ausgangssituation bestimmt

Tezcan zeigt mit akribischer Genauigkeit, wie sich bis heute die Islampolitik in Deutschland noch immer am kolonialistischen Erbe und der kolonialistischen Politik Deutschlands orientiert. Dabei geht es auch um die Selbstverortung des “muslimischen Subjekts”, welches im Spannungsfeld zwischen Integration und Assimilation letztlich zu Kompromissen und Selbstaufgabe der eigenen Identität gedrängt werden soll. Ein Grund dafür warum noch heute von Leitkultur und Assimilation als beste Lösungen innerhalb verschiedener Parteien bei der Migrations- und Islamfrage gesprochen wird.

Auch das Gegeneinander ausspielen von muslimischen Organisationen — säkulare, liberale wie konservative — wird hervorragend von Tezcan analysiert. Dabei wird auch klar, welche Rollen einige Akteur*innen einnehmen, die eben nicht als Vertreter*innen der muslimischen Gemeinschaften eingeladen wurden, sondern als Individuen. Dabei bleibt vor allem der üble Eindruck, dass die Funktion einzelner Akteur*innen nur darin besteht, das Übergewicht muslimischer Verbände zu verhindern.

Politik spielt Muslim*innen gegeneinander aus

Das Muslim*innen dabei — als Kollektiv — falsch dargestellt und in Schubladen gesteckt werden, wird von der deutschen Politik in Kauf genommen. Ebenso, dass die DIK I letztlich nichts anderes war als eine Veranstaltung ähnlich des Integrationsgipfels. Das “muslimische Subjekt” wurde auch hier “islamisiert” und “muslimisiert” und anders behandelt als sämtliche andere Gruppen. Dabei muss Integration gesamtgesellschaftlich und nicht bezogen auf eine (vermeintlich) homogene Gruppe gedacht werden.

Tezcan legt in seinem Buch schonungslos offen, wie sehr sich die deutsche Politik mit ihrer Arbeit bei der DIK I aus dem Fenster gelehnt und dabei selbst Grundsätze der rechtlich unbestreitbaren Aspekte links liegen gelassen hat. Dabei wurden Versprechen in alle Richtungen gemacht, die nicht eingehalten wurden. Das “muslimische Subjekt” wurde betrogen und der Ausgang aller bisheriger DIK-Veranstaltungen führt zu einer Ungleichbehandlung aller Muslim*innen im Lichte des Religionsverfassungsrechts. Wenn man als Politiker*innen wie auch als Muslim*innen verstehen möchte, warum die DIK letztlich immer wieder an sich selbst scheitern wird, sollte man das Buch von Tezcan gelesen haben.

Seltene Einblicke in eine Muslim*innen versperrte Welt

Natürlich ist auch dieses Buch nicht frei von Fehlern. Als Beispiel sei genannt, dass Tezcan ausführt, die Fakultäten für Islamische Theologie würden “Imame” ausbilden. Das tun sie nicht und das war schon immer eine falsche Wunschvorstellung. Theolog*innen sind keine Imam*innen. Und eine Imam*innenausbildung ohne Religionsgemeinschaft kann aufgrund von Grundrechten nicht stattfinden. Doch über solche Spitzfindigkeiten kann man hinwegsehen, auch weil der Autor als Soziologe und Teilnehmer der DIK I seltene Einblicke in eine Welt hinter verschlossenen Türen gibt.

Prof. Dr. Levent Tezcan arbeitet heute an der Universität Münster im Fachbereich Soziologie. Er hat die Professur für sozialwissenschaftliche Erforschung des Islam im Europa des 20. und 21. Jahrhunderts inne. Das Buch “Das muslimische Subjekt” liegt in einer aktuelleren und verbesserten Fassung vor.

Autor: Levent Tezcan
Titel: Das muslimische Subjekt — Verfangen im Dialog der Deutschen Islam Konferenz
ISBN: 978–3835390225

Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Fassung des ursprünglichen Beitrags aus dem Jahr 2019.

Akif Şahin

Akif Şahin aus Hamburg. Arbeite als SEO-Manager für eine der größten Bildungs-Gruppen in Europa. Als Muslim interessiert mich die Geschichte und Kultur des vorderen Orients. Auf diesem Blog gibt es Einsichten, Aussichten und Islamisches.

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  • Mittlerweile ist man weiter was das Herausdrängen der etablierten Verbände angeht. Und zwar indem man sie kollektiv bezichtigt Teil des „politischen Islams“ zu sein. Dann braucht man sich nicht weiter mit ihnen auseinander zu setzen, sondern mit diesem Totschlagargument endet jede Diskussion.

    Leider haben es die muslimischen Einzelakteure genaustens verstanden, sich als Antagonismus zum „politischen Islam“ zu positionieren und ungeachtet der Tatsache, dass sie keine Basis in der Community haben, werden sie als Modell für den zukunftsfähigen Islam in Deutschland angesehen.

    • Naja. In meinem Beitrag zum Thema und den aktuellen Diskussionen habe ich dargelegt, warum der Begriff überbewertet ist und nicht viel taugt. Ich habe aber auch darauf hingewiesen, dass es nicht reicht, nur die Opferrolle zu spielen. Die muslimischen Gemeinschaften müssen sich auch bewegen und selbst Reformen in ihren Strukturen und im Aufbau leisten. Anderenfalls sind solche Debatten, die sich nicht um Integration und Sicherheit drehen, sondern um Macht, vorprogrammiert. Es entbindet Muslim*innen nicht davon sich selbstkritisch mit der eigenen Situation auseinanderzusetzen.

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