Im Islam gibt es zwei Arten außergewöhnlicher Ereignisse, die als Wunder bezeichnet werden: Mudschiza (prophetisches Wunder) und Karamah (Wundertat eines frommen Dieners). Die Unterscheidung zwischen beiden ist zentral für das islamische Verständnis von Prophetentum und Gottesnähe.
Mudschiza – Wunder der Propheten (as)
Mudschiza sind außergewöhnliche Ereignisse, die durch die Propheten (as) vollbracht wurden, um ihr Prophetentum zu bestätigen. Sie geschehen ausschließlich mit der Erlaubnis und durch die Macht Allahs (swt). Kein anderer Mensch – auch nicht der frömmste – kann solche Wunder aus eigener Kraft vollbringen.
Diese Wunder haben das Ziel, die göttliche Sendung der Propheten (as) zu belegen und die Wahrheit ihrer Botschaft zu unterstreichen. In Sura Al-An’am (6:124) heißt es sinngemäß:
„Allah weiß am besten, wem Er Seine Botschaft anvertraut.“
Koran: 6:124
Jeder Prophet – von Adam (as) bis Muhammad (saw) – hat mindestens eine Mudschiza vollbracht. Diese Wunder überzeugten selbst hartnäckige Zweifler und ließen die Wahrheit des Islam erstrahlen. So etwa das Spalten des Meeres durch Musa (as), das Wiedererwecken der Toten durch Isa (as) oder die Offenbarung des Korans an Muhammad (saw) – ein ewiges, sprachliches Wunder, das bis heute unübertroffen bleibt (Koran 17:88).
Karamah – Wundertaten rechtschaffener Menschen
Karamah sind außergewöhnliche Taten, die von besonders frommen, Allah (swt) nahestehenden Menschen – sogenannten Awliya Allah – vollbracht werden. Auch sie geschehen nur durch die Erlaubnis Allahs (swt), unterscheiden sich jedoch von Mudschiza darin, dass sie nicht zur Bestätigung eines Prophetentums dienen, sondern Ausdruck göttlicher Nähe und Barmherzigkeit sind.
Ein klassisches Beispiel ist Maryam (as), die Mutter von Isa (as). Obwohl sie keine Prophetin war, wurde sie mit besonderen Gaben beschenkt. In Sura Al-Imran (3:37) heißt es:
„Jedes Mal, wenn Zakariyya zu ihr in das Heiligtum eintrat, fand er bei ihr Versorgung.“
Koran: 3:37
Diese segensreichen Erscheinungen gelten als Karamah – Zeichen der besonderen Gunst Allahs (swt) für seine rechtschaffenen Diener.
Beispiele zur Unterscheidung
- Mudschiza: Musa (as) teilte mit seinem Stab das Meer – ein historisch bezeugtes, prophetisches Wunder zur Rettung der Kinder Israels (vgl. Koran 26:63-66).
- Karamah: Maryam (as) erhielt in ihrer Einsamkeit Versorgung durch göttliche Gnade – ein Zeichen besonderer Nähe, jedoch ohne prophetischen Anspruch.
Auch in späteren Zeiten werden Karamah über viele große islamische Gelehrte berichtet, wie z. B. über Abdulqadir al-Dschilani, Imam an-Nawawi oder Rabi’a al-Adawiyya. Ihre Wundertaten sollen jedoch nie zur religiösen Gesetzgebung oder Prophetengleichstellung führen – sondern zur Bestärkung des Glaubens.
Wunder vs. Magie – Eine klare Abgrenzung
Im Islam ist es essenziell, zwischen echten Wundern und verbotener Magie (sihr) zu unterscheiden. Während Mudschiza und Karamah von Allah (swt) bewirkt werden, basiert Magie auf Täuschung, Manipulation oder gar der Zusammenarbeit mit Dschinn – und ist im Islam strengstens verboten. In Sura Al-Baqara (2:102) wird deutlich, dass Zauberei den Glauben zerstören kann (Koran 2:102).
Wie erkennt man echte Karamah?
Islamische Gelehrte wie Imam al-Ghazali („Ihya Ulum ad-Din“) oder Ibn Taymiyya („al-Furqan“) betonen: Eine echte Karamah widerspricht niemals der Scharia. Sie bringt keinen Stolz oder Eigennutz mit sich, sondern fördert Demut, Gottesfurcht und rechtschaffenes Handeln. Wer also mit übernatürlichen Phänomenen prahlt oder dadurch Ruhm erlangen will, ist nicht von Allah (swt) unterstützt.
Die spirituelle Dimension – Nähe zu Allah (swt)
Wundertaten wie Karamah zeigen, dass Allah (swt) Seinen Dienern nahe ist. Doch nicht das Streben nach Wundern ist entscheidend, sondern das Streben nach Taqwa (Gottesfurcht), Ikhlas (Aufrichtigkeit) und Sabr (Geduld). Wer aufrichtig lebt, kann göttliche Hilfe in den schwierigsten Momenten erfahren – selbst wenn sie nicht sichtbar ist (vgl. Koran 65:2-3).
Prophetengeschichten in der islamischen Erziehung
Propheten und Awliya werden im islamischen Unterricht gezielt eingesetzt, um Kindern und Jugendlichen Werte wie Geduld, Wahrhaftigkeit und Vertrauen in Allah (swt) zu vermitteln. Ihre Wunder oder Wundertaten sind nicht bloß Erzählungen – sie prägen das Glaubensleben und wirken inspirierend auf Herz und Verstand.
Vergleich mit dem Prophetentum anderer Religionen
Auch im Judentum und Christentum sind Wunder zentrale Elemente. Viele Propheten wie Musa (as) oder Isa (as) werden in allen drei abrahamitischen Religionen genannt. Im Islam jedoch wird betont, dass wahre Wunder nur mit Erlaubnis Allahs (swt) geschehen – und dass kein Prophet göttlich ist. Isa (as) etwa heilte zwar Blinde und erweckte Tote, doch stets mit dem Hinweis: „mit der Erlaubnis Allahs“ (vgl. Qur’an 5:110).
Fazit
Mudschiza bestätigen das Prophetentum – Karamah zeugen von der Nähe zu Allah (swt). Beide sind außergewöhnlich, aber unterschiedlich in ihrer Natur und Funktion. Für Muslime ist es wichtig, diese Unterscheidung zu verstehen, um den rechten Glauben an die Prophetenschaft zu wahren – und gleichzeitig die Gaben Allahs (swt) in Seinen rechtschaffenen Dienern zu erkennen und wertzuschätzen.