Ein KI-generiertes Bild (mit playground) zum Thema “muslimisches Familien- und Ehe-Leben”. So künstlich sieht unsere Welt also aus.

Äquivalenz

Ein vernachlässigter Aspekt bei der Partnersuche ist die der Äquivalenz. Wenn eine Gleichwertigkeit der Partner nicht gegeben ist, funktioniert eine Beziehung oder Ehe am Ende auch häufig nicht. Ein paar Gedanken.

“Brudi! Meine Mutter hat jemanden, die wäre die ideale Kandidatin für dich. Die Schwester ist gebildet, hat Englische Literatur studiert, arbeitet im Marketing eines Jugendvereins und war noch nie verheiratet! Meine Frau hat sie kennengelernt und sie sagt auch: Ihr würdet gut zusammenpassen”, so oder so ähnlich läuft es aktuell in meinem Leben.

Irgendwie fühlen sich die Menschen um mich herum dazu veranlasst, mir unbedingt helfen zu wollen, aus meinem Single-Dasein herauszukommen. Dabei gebe ich mir selbst nicht mal richtig Mühe, da rauszukommen. Ich bin noch in einer Trauerphase. Da ist man lieber nostalgisch und denkt über eine vertane Chance nach.

Gleichzeitig bringen mich solche Einwürfe aus meinem Umfeld wieder dazu, über meine früheren Text-Reihen zu Beziehungsproblemen bei Muslim:innen zu schreiben. Der Vorschlag oben ist überhaupt nicht für mich geeignet, aber auch für viele andere nicht, die in der gleichen Situation stecken.

Nicht verheiratet gewesen zu sein, ist kein Qualitätsmerkmal

Irgendwie verkaufen viele aus unserer Community Frauen, die noch nie verheiratet waren, als etwas Besonderes. Das hat nur bedingt mit dem Jungfernhäutchen-Fetisch zu tun. Man glaubt wirklich, es sei ein Qualitätsmerkmal, wenn man in dieser Zeit noch nie verheiratet gewesen ist. Dabei ist es streng genommen, für Personen ab einem gewissen Alter, ein Zeichen für einen großen Makel in der Beziehungsfähigkeit.

Die Grundsätze der Äquivalenz erfordern für eine funktionierende Beziehung und Ehe einen schärferen Blick. Eine geschiedene Person wird deutlich besser mit einer Person matchen, die ebenfalls geschieden ist. In meinem Fall muss ich davon ausgehen, dass eine Frau, die mit 37 Jahren noch nie verheiratet gewesen ist, keine Ahnung davon hat, wie eine Ehe funktioniert, geschweige denn ein gemeinschaftlicher Haushalt.

Falsche Erwartungen

Die Erwartungshaltungen sind häufig so grundverschieden, dass man sich erst gar nicht damit auseinandersetzen sollte. Natürlich gibt es Ausnahmen. Ein aussetzendes Herz, beim Blick auf eine Person, kann eine solche Ausnahme sein. Wahre Liebe ist immer eine Ausnahme-Erscheinung und ein Ausnahme-Grund. Aber das passiert vielleicht zwei bis dreimal im echten Leben. Und häufig verpassen wir den richtigen Moment.

Kommen wir zurück, zum Beispiel von oben. Für die Frau ist ein Partner geeignet, der mit ihr zusammen, das Eheleben entdeckt. Entsprechend habe ich meinen Kumpel gebeten, wenn er mir Vorschläge unterbreiten möchte, eher nach jemand passendem zu schauen, die auch die gleiche Situation wie ich erlebt.

Unser aller Fehler ist nämlich häufig, dass wir falsche Erwartungen hegen. Wir stellen die eigentlichen Bedürfnisse für eine funktionierende Partnerschaft oder eine Ehe infrage und versuchen Idealbilder abzurufen. Ein junger Mann von 24 Jahren, wird sich natürlich freuen, wenn er eine unverheiratete Frau findet.

Keine Illusionen

Ein Mann wie ich, macht sich jedoch keine Illusionen darüber, dass eine Single-Frau, die nicht verheiratet war, versteht, wie eine langfristige Beziehung und Ehe funktioniert. Das ist sehr vereinfacht dargestellt, aber es zeigt ein reales Dilemma unserer Zeit auf. Viele Menschen wollen den oder die ideale Partner:in. Doch niemand will selbst der oder die ideale Partner:in sein. Entsprechend werden Wünsche geäußert, ohne an sich selbst zu arbeiten.

In einem Gespräch sagte eine Bekannte vor ein paar Wochen: “Es wäre besser, du hättest keine Kinder. Dann könntest du auch mit deinem Crush zusammen sein.” Ich war irritiert. Was würde mich denn zu einem besseren Partner für meinen Crush machen, wenn ich keine Kinder hätte? Dabei sollten Frauen doch genauer hinschauen, wenn es um die langfristige Partnerwahl geht, dass sie sich genau solche Partner suchen, die eine Vater-Rolle gänzlich übernehmen können. Und nein, ich meine nicht auf Daddy-Issues zu achten, sondern auf Daddy-Qualitäten.

Lebensweisheiten für Dumme

Und auch die anderen Diskussionen laufen nicht besser. So erklärte mir eine sympathische Person: “Geschieden ja, aber die Frau sollte keine Kinder haben. Du kannst natürlich nicht der Vater für fremde Kinder sein.” Das sind Lebensweisheiten von Menschen, die keine Ahnung haben. Natürlich kann jeder Mensch selbst entscheiden, ob er oder sie das möchte.

Aber mal so unter uns gesprochen: Die wenigsten Frauen suchen Ersatzväter für ihre Kinder. Und die wenigsten Männer können nicht leibliche Kinder so behandeln, wie ihre eigenen. Tatsächlich ist die Frage, ob man sich imstande sieht, fremde Kinder in einer Partnerschaft zu akzeptieren und diese wie “Pflegekinder” zu behandeln. In den seltensten Fällen wird es wirklich gelingen, eine “Vater-Kind-Beziehung” aufzubauen.

Fürsorge für sich und andere

Aber das ist auch häufig nicht notwendig. Es geht um die Fürsorge, die man als Partner auch erfüllen kann. Man muss es nur wollen. Dazu gehört aber auch, dass es direkte Absprachen von Anfang an gibt und man sich wirklich gut überlegt, ob man diese Verantwortung auch tragen möchte. In aller Länge meiner bedingten Lebenszeit, hat es bisher nur einen Fall gegeben, wo ein “Stiefvater” sein “Stiefkind” am Ende sogar adoptiert hat.

Es bleibt aber die Ausnahme-Erscheinung und trotzdem können Patchwork-Familien aus unterschiedlichen Mitgliedern funktionieren, wenn man sich ordentlich über diese Fragen austauscht und an festen Regeln orientiert. Es bleibt aber eine persönliche Präferenz, ob man sich das zutraut oder nicht.

Uns sollte allen aber am Ende nicht egal sein, ob eine Person ebenfalls Kinder hat oder nicht. Es sollte eher so sein, dass wir eine Person suchen, die Kinder hat, wenn man selbst Kinder hat oder halt keine Kinder hat, wenn man selbst keine Kinder hat. Auch hier ist Äquivalenz wichtig und es wird häufig vernachlässigt. Patchwork-Familien können auch im muslimischen Kontext funktionieren, wenn man es gleichwertig angeht.

Was soll eine Partnerschaft oder eine Ehe leisten?

Ein anderes Problem ist die grundsätzliche Frage nach Partnerschaft. Ich glaube, es ist die vernachlässigte Form der Partnerschaft, obwohl bei fast jeder Hochzeit ein Koranvers hierzu rezitiert wird. In diesem heißt es: “Und es gehört zu Seinen Zeichen, dass Er euch aus euch selbst Partner:innen erschaffen hat, damit ihr bei ihnen Ruhe findet; und Er hat Zuneigung und Barmherzigkeit zwischen euch gesetzt. Darin sind wahrlich Zeichen für Leute, die nachdenken.” (30:21)

Häufig wird dieser Vers aus der männlichen Sicht gelesen und mit “Partnerinnen” übersetzt. Dabei ist die Wortkombination “أَزْوَاجًا” mehrdeutig und kann auch in der Version Partner, Partnerin, Ehepaar, Paare, ein Paar und so weiter fort gelesen werden. Deshalb habe ich in der bekannten Übersetzung mal Partner:innen geschrieben, um meinen Standpunkt zu verdeutlichen. Dieser Vers richtet sich an alle.

Beide Geschlechter sollten ein klares Ziel bei der Partnersuche haben: “Ruhe finden”. Alles andere ist nachgelagert und sollte auch nur so behandelt werden. Wenn ihr also ein Herz findet, bei dem oder der ihr Ruhe findet, dann wisst ihr, was zu tun ist. Und wenn ihr keine Ruhe findet, dann ist die Person auch nicht die richtige Person für euch.

Zum Schluss

Natürlich hat jeder Mensch seine eigenen Ansichten zu diesen Dingen. Diese können und sind auch für jeden Menschen selbst richtig. Ich möchte nur nicht, dass unsere Debatten und unsere einstudierten Reaktionen sich weiter so verfestigen, dass wir über Alternativen und alternative Familienmodelle nicht nachdenken.

Es betrübt mich, dass wir eine der flexibelsten und offensten Religionen haben, was das Thema Ehe und Partnerschaften angeht und es nicht schaffen in der Moderne oder sogar Postmoderne vernünftig über unsere vererbten Ansichten über Lebens- und Ehe-Modelle nachzudenken.

Wer heiraten möchte, muss sich aber damit intensiv auseinandersetzen. Am Ende ist es natürlich Schicksal, ob eine Ehe hält oder nicht. Das kann ich, als jemand, der nach 16 Jahren Ehe neu anfängt, vermutlich am authentischsten vermitteln. Gleichzeitig setze ich mir keine so engen Rahmen, wie ich es getan habe, als ich jung war.

Ich bin also mein eigener Ratgeber und suche eine Partner:in bei der ich “Ruhe finden” kann. Mehr Erwartungen habe ich nicht. Ich wünsche allen, die ebenfalls auf der Suche sind, dass sie auch Ruhe finden.

Akif Şahin

Akif Şahin aus Hamburg. Arbeite als SEO-Manager für eine der größten Bildungs-Gruppen in Europa. Als Muslim interessiert mich die Geschichte und Kultur des vorderen Orients. Auf diesem Blog gibt es Einsichten, Aussichten und Islamisches.

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