Wenn du eine Person vermisst und ständig immerzu an diese Person denkst, dann kann es auch daran liegen, dass du unzufrieden mit deinem eigenen Leben bist. Du glaubst unter Umständen, dass dein Leben besser mit dieser Person wäre (was überhaupt nicht garantiert ist). Dies führt zwangsweise zu einer Art Paralyse und du entwickelst dich nicht weiter.
Also habe ich mir zu Anfang des Jahres eine Bucketlist erstellt. Also Dinge, die ich in diesem Jahr gerne machen möchte. Dinge, die neu für mich sind, Dinge, die ich so überhaupt nicht kannte oder die ich schon länger mal wieder machen wollte. Es hilft, sich Gedanken über die eigene Zukunft zu machen und aufzuhören, über mögliche Traumata nachzudenken.
Oder wenn ich nach Alfred Adler, dem Vater der Individualpsychologie, gehe: Es gibt Traumata, aber es kommt darauf an, wie wir damit umgehen und wie wir selbst leben und sein wollen. Entsprechend war mir klar, was mir im Leben fehlt und was ich besser machen möchte. Veränderung, Change, ist die einzige Konstante in diesem Leben (so viel sei verraten).
Poetry & Hip-Hop
Also habe ich Ausschau gehalten, nach Dingen, die mich interessieren. Man glaubt es kaum, aber ich war noch nie auf einem echten türkischen Pop-Konzert. Ein Kumpel, der Radiomoderator ist, teilt immer wieder spannende Konzerttipps, aber die Preise für die Tickets sind einfach horrend. Also habe ich das Thema verworfen. Das löste meine Probleme.
Anscheinend habe ich den Instagram-Algorithmus so gut beeinflusst, dass ich immer wieder Werbung für günstige Konzerte und Musik-Events erhalten habe. So kam ich auch auf das Format “Poetry & Hip-Hop”. Mitten in dem kleinen Saal der Cascadas in Hamburg habe ich mir deutschen Hip-Hop, fette Beats und schöne Einlagen mit Poetry-Slam reingezogen.
Und es war ein schöner Abend. Ich habe niemanden kennengelernt, die Beiträge von ganz hinten beobachtet und mit einer Fritz Kola ohne Zucker genossen, wie über Trennungsschmerz geslammt, über Rassismus und Intersektionalität gedichtet wurde und wie deutschsprachiger Hip-Hop trotz aller massentauglichen Beiträge noch immer sehr authentisch und ehrlich sein kann. Kurz: Ich hatte meinen Spaß für knapp drei Stunden.
Dressed like me
Gestern Abend ging es nach einem Abendessen mit meinen Eltern erst einmal zum Sortieren meiner Anzüge und Hemden. Das nächste Event war dann ab 22 Uhr in der Spielbank Hamburg. Ich habe ein Ticket gehabt und musste mich hier richtig ins Zeug legen, weil die Vorgaben der Spielbank zum Dresscode, schon etwas schärfer sind. Es war am Ende keine Abendgarderobe notwendig, aber etwas gepflegteres Äußeres schon.
Am Ende wurden es blau-graue Sneaker mit einer grauen Jeans, einem blauen Hemd und einem grauen Sakko. Auf Anraten meines Stylemanagers (liebe Grüße an Murat abi), durfte der Kragen offen bleiben und die Brille unbedingt weggelassen werden. O-Ton: “Es sei denn, du willst nach dem Konzert noch eine Katze für Satan opfern.” (Überzeugen kann er)
Hinwegkommen
Natürlich wollte ich keine Katze opfern. Den Ratschlag, falls mich eine weibliche Person anspricht, zu lächeln und nett zu sein, habe ich mit: “Ich will keine Tipps bezüglich Frauen oder sonst was hören”, beantwortet. Das Lustige ist, alle Tipps, die mir meine Freunde bezüglich Frauen geben, ignoriere ich. Am Ende beschwere ich mich aber, dass sie mir Tipps geben. Im Grunde weiß ich, was ich will und das wird nichts. Ich muss darüber hinwegkommen. Dafür machen wir den Unsinn doch auch.
Man sitzt an einem Samstag-Abend nicht vor dem Rechner und wartet das nächste Wochenende darauf, dass sich vielleicht das Herz einer geliebten Person ändert und sie sich meldet. Man sitzt nicht an seinem Handy, installiert die nächste unnütze Dating-App und swiped rum, nur um am Ende sich elend zu fühlen, weil man erstens niemanden kennenlernen möchte und zweitens ohnehin keine Matches generiert, die alltagstauglich sind.
Man geht aus, genießt Kunst und Kultur und schaltet für wenigstens ein paar Stunden aus, welche Probleme man eigentlich hat. Das nennt sich Me-Time oder Quality-Time und man genießt diese Zeit. Dafür benötigt man keine Begleitung, man braucht einfach den Entdecker-Geist, den unsere Vorfahren hatten. Und man bereut es nicht, weil es immer etwas zu entdecken gibt und unsere Seelennahrung in der Poesie des Seins steckt.
Events mit Hintergrund
Die Spielbank Hamburg organisiert wohl schon länger solche Events. So sollen neue Kundschaften auf ein Konzert gelockt werden, mit der Intention, diese auch zum Spielen zu verleiten. Das gelingt auch, wenn man sich das Setting insgesamt anschaut. Der Saal für das Konzert liegt in direkter Nachbarschaft mit den Ecken für Roulette- und Poker-Tische. Wer, wie ich, eine Zigarette rauchen möchte, muss an diesen Ecken und der größeren Bar, vorbei, um auf die Terrasse zu gelangen.
Gleichzeitig wird der Spielkonsum bereits durch einen “Glückschip” angetrieben. Man kann ja den 2 € Chip auf dem Roulette-Tisch platzieren und “sein Glück versuchen.” Ich habe mir in der Pause und bei meinen Raucherpausen genauer angeschaut, wie die Massen an Menschen sogar genau für diese Spiele zur Spielbank gehen.
Als ein guter Kumpel gestern Nacht noch schrieb: “Wir können doch gemeinsam zu solchen Events gehen”, habe ich direkt abgewunken. Ich bin für mich selbst verantwortlich und weiß, was ich mir zumuten und wohin ich gehen kann, ohne mich gehen zu lassen oder über meine Prinzipien zu stolpern. Für andere kann ich das nicht. Ich bin so gesehen, mein eigener Feind und Freund, was solche Events angeht. Ich glaube aber, es ging gesitteter zu, als auf türkischen Partys (ich war noch nie auf einer).
High Society
Der Saal war nicht zu voll, es waren aber wirklich viele Gäste aus der High Society Hamburgs anwesend. Hier, das merkte man schon an der Luft, sind andere Menschen unterwegs. Und ich fühlte mich schon fehl am Platz, ehe es dann doch etwas durchmischter wurde.
Es waren junge Menschen dabei, Influencer:innen, ältere Menschen, Menschen, die einfach die Musik genossen, Menschen, die miteinander gequatscht haben, während die Band Klassiker und Neu-Interpretationen brachte und es gab Menschen, die zu der Jazz- und am Ende Pop- und Swing-Musik getanzt haben.
Der Barkeeper in der Red Black Loung hatte zu meinem Glück zügig verstanden, dass ich nur nicht-alkoholische Softdrinks nehme. Ich stand ganz hinten und lauschte den Klängen, beobachtete die Menschen und an manchen Stellen der Musik wippte mein Fuß mit dem Takt. Jazz ist, wie man so schön sagt, Volksmusik oder Musik für jedermann.
Jazz mit Grammophon
Grammophon hat dies noch einmal verfeinert und lieferte gestern Abend zu Beginn des Konzernst mit eher Contemporary Jazz wirklich grandiose Musik. Zum Ende hin, war es das, was Massen lieben und wir heute eher als Pop bezeichnen würden, häufig in einer Neu-Interpretation mit Jazz-Instrumenten. Darüber muss man dann nicht diskutieren. Es war für jeden Geschmack etwas dabei.
Was mich aber wirklich beeindruckt hat, war wie Vokalistin Nora Becker mit ihrer Stimme einfach den Saal “gejazzt” hat und wie vielfältig diese Stimme war, wie sie aber auch die höchsten Oktaven und Stimmlagen getroffen hat, ebenso wie sie auch begeisterungsfähig war. Sie hat eine der stärksten und wunderschönsten Stimmen, die ich je gehört habe. Die Menschen haben nicht einfach nur applaudiert, sondern genossen und gefeiert, wie diese Band feiern wollte und dafür gesorgt hat.
Bucketlist erledigt
Mit dem gestrigen Konzert war dann auch ein weiteres Thema aus meiner Bucketlist erledigt. Nach über 17 Jahren bin ich das erste Mal wieder auf einem Jazz-Konzert gewesen. Das letzte Mal, als ich auf ein solches Konzert wollte, war, als Abdullah Ibrahim in Hamburg vorbeigeschaut hat. Ich habe das Konzert leider verpasst. Jetzt habe ich so viel unendlich Zeit und manchmal fehlt das Geld oder der gegebene Anlass.
Ich muss aber auch sagen: Ich habe jetzt seit 17 Jahren nichts mehr unternommen und viel verpasst habe ich nicht. Es macht aber einen Unterschied, ob man mit Mitte 20 auf solche Events geht, oder halt mit 42. Ich mochte nie allein irgendwohin gehen. Und ich muss sagen, es macht mir mittlerweile Spaß und man gewöhnt sich auch an das.
Ich verreise jetzt allein, ich mache kleine Trips allein, ich gehe allein ins Restaurant, allein ins Kino, allein auf Konzerte, schmeiße allein den Haushalt und ich vermisse nichts. Wandel ist möglich. Die Frage ist natürlich: Gefällt mir mein Leben damit besser? Ich muss ehrlich sagen: Nein. Und aus einem unbekannten Grund habe ich das Gefühl, dass alle Singles, die etwas anderes behaupten, flunkern.
Nach vorn schauen
Mir fehlt immer noch jemand an meiner Seite. Momente und Gefühle zu teilen, ist etwas Schönes und diese Nähe und Intimität fehlt mir als Single einfach. Ich weiß auch nicht, ob ich diese Lücke wirklich je füllen werde. Für den Moment geht es mir gut und ich bin zufriedener mit meinem Leben, als ich es noch vor einem Jahr war. Ich probiere neue Dinge aus und ich fühle mich wohl, in dem und mit dem, was ich mache.
Es sind kleine Abenteuer, die mir guttun. Ich bin ungern Single, aber bis sich mein Herz beruhigt, wird es noch dauern und bis mir jemand über den Weg läuft, wo mein Herz wieder kurz aussetzt, wird es vermutlich noch dauern. Bis dahin, mache ich das Beste aus meiner Situation. Ich höre auf zu hoffen, ich höre auf, in die Vergangenheit zu schauen und lebe mein Leben so, wie ich es leben möchte. Und dieses Leben gefällt mir.
Hip-Hop, Poetry und Jazz