Letztens war ich in der Centrum-Moschee in Hamburg. Ich wartete auf einen Freund, der noch in einer Sitzung saß. Die Sitzung zog sich etwas in die Länge. Der Gebetsruf erklang. Ich war damit in der Pflicht. Ich ging nach langer Zeit (fast zwei Jahre) wieder in diese eine Moschee, um meine Gebetswaschung vorzunehmen und das Abend-Gebet zu verrichten. So viel Zeit musste einerseits sein, andererseits hatte ich es dennoch eilig. Ich wollte meinen Freund nicht unnötig vor der Tür warten lassen.
Der gesamte Bereich der Männertoilette und auch der Waschmöglichkeiten wurde erst vor ein paar Monaten erneuert. Es gibt jetzt interessante Fliesen und auch die Möglichkeiten für die Gebetswaschung sind verbessert worden. Man kann jetzt beispielsweise entweder im Sitzen oder im Stehen die Gebetswaschung vornehmen. Auch der üble Geruch, einer notdürftigen Lüftungsanlage geschuldet, ist nicht mehr vorhanden. Die neue Führung in der Moschee scheint hervorragende Arbeit geleistet zu haben.
Nach der Gebetswaschung setzte ich mich auf die Bank und zog meine Socken gerade wieder über meine Füße, als jemand mich mit dem islamischen Gruß grüßte: „As-Salamu aleykum Akif!“ Zu meiner linken war ein arabischer Bruder. Wir kannten uns aus längst vergessenen Tagen, wir hatten früher gemeinsam viele Veranstaltungen besucht und auch viel für die Dawa-Arbeit getan. Heute würde ich sagen: in einem anderen, einem früheren Leben, das mir überhaupt nicht real gewesen zu sein scheint. Er schaute mich an, nennen wir diesen Bruder Tariq, und wirkte sehr überrascht, dass er mich überhaupt hier trifft und sieht.
„Wollen wir gemeinsam beten?“, fragte er mich. Es war eine lieb gemeinte Frage, ohne Hintergedanken. Der Bruder mag es, in der Gruppe zu beten, weil es auch viel Hasenat (Belohnung) bedeutet. Ich überlegte kurz, wie ich es ihm sagen sollte, doch dann entschied ich mich für den geraden Weg: „Vielen Dank für das Angebot, Bruder Tariq. Ich bin aber in Eile und ich weiß, du willst das Gebet in Ruhe verrichten.“ Ich ergänzte noch: „Du kennst uns Türken ja.“ Er nickte zustimmend und schien mir nicht böse zu sein.
Ich ging hoch und verrichtete mein Gebet und ging wieder runter. Unterwegs wurde ich von mehreren Leuten beäugt, denen allesamt die Kinnlade herunterzufallen drohte. Dabei hatte ich nichts Besonderes getan. Ich hatte meine Pflicht gegenüber Allah (swt) erfüllt. Zwar in einer Moschee, in der ich schon länger nicht mehr beten gewesen bin, aber ich war in Eile. Es schien die Menschen, die mich kannten, einfach nur zu irritieren. Mein Freund wartete vor der Tür und rauchte eine. „Sorry, ich war noch kurz beten“, sagte ich. Er schaute mich an und sagte: „Habe ich mir schon gedacht. Und? Wie findest du die neuen Sanitäranlagen?“
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Es war ein netter Abend nach einer Veranstaltung von Freunden in Hamburg. Wir konnten uns nicht richtig entscheiden, wo wir essen gehen sollten. Am Ende wurde es ein abgelegenes Lokal, etwas weiter entfernt vom Veranstaltungsort. Unterwegs gab es lustige Gespräche und interessante Erkenntnisse sowie schöne Schauplätze. Ich zeigte den Leuten auf der Schanze dann mal die berühmte „Rote Flora“. Wir gingen ins Restaurant rein und bestellten bei schwüler Hitze im Raum unser Essen.
Es wurde gestritten, es wurde diskutiert und es wurden Geheimnisse ausgetauscht. Es war sehr lebhaft, auch weil wir unterschiedliche Positionen einnahmen. Natürlich war ich mit meinen Forderungen auf verlorenem Posten, das hieß aber nicht, dass ich nicht trotzdem für meine Meinung einstand. Kritik ist das eine, aber auch Selbstkritik muss möglich sein. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre nicht immer so pragmatisch. Doch an diesem Abend lief alles wunderschön. Bis zu dem Moment, in dem ein befreundetes Pärchen die Runde verlassen musste und sich verabschiedete.
Die Dame, eine Größe im Kampf gegen Rassismus und bekannte Netzaktivistin, fragte mich, wie es mir denn so geht, da man ja kaum etwas über mich höre, geschweige denn mich sehe. Ich sagte: „Ich bin ein Schatten meines Selbst.“ Und es beschrieb so ziemlich haargenau, wie es aktuell bei mir läuft und wie ich mich fühlte. Ein Schatten meines Selbst. Wer Akif Sahin wirklich kannte und davon gab es doch ein paar Menschen, wäre überrascht, was aus Akif Sahin geworden ist. Gleichzeitig wären die Menschen auch überrascht, wie glücklich Akif Sahin mit diesem Leben ist. Manchmal muss man ein Schatten sein und vielleicht kaum noch wahrgenommen werden.
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Hafs bin Asim (ra) erzählte von Abu Hurairah (ra) oder Abu Sa’eed (ra), was der Gesandte Allahs (saw) gesagt hat:
„Sieben werden von Allah unter seinem Schatten an einem Tag, an dem es keinen Schatten außer seinem Schatten gibt, im Schatten stehen:
Quelle: Jami`at-Tirmidhi 2391 (Buch 36, Hadith 88). Dieser Hadith wird als sahih eingestuft. Er findet sich in kleineren Abweichungen auch bei Sahih al Bukhari und Sahih al Muslim.
- Ein gerechter Imam,
- ein junger Mensch, der in Anbetung Allahs aufgewachsen ist,
- ein Mann, dessen Herz an den Masjid gebunden ist, wenn er von diesem abreist, bis er wieder zurückkehrt,
- zwei Männer, die einander um Allahs willen lieben, die um dessentwillen zusammenkommen und sich voneinander trennen,
- ein Mann, der sich an Allah in der Abgeschiedenheit erinnert und dessen Augen vor Tränen anschwellen,
- ein Mann, der von einer Frau von Rang und Schönheit verführt wird, aber sagt: „Ich fürchte Allah, Er ist mächtig und erhaben“,
- und ein Mensch, der die Nächstenliebe, die er gibt, so verbirgt, dass seine linke Hand nicht weiß, was seine rechte Hand gegeben hat.“
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Der freundliche Blick kann einen Menschen zu einem Schatten machen. Der verächtliche Blick zu einem anderen Schatten. Der Blick eines wahren Freundes macht einen zu Licht. Und die Frage nach dem Wohlbefinden kann glücklich machen. Die Kalifen erklärten sich zu „Schatten Gottes auf Erden“. Wir sind jedoch nur Schatten unseres Selbst. Und Schutz gibt uns nur der Schatten Allahs (swt), der mit einem echten Glauben ohne Zweifel errungen werden kann.
Ein Schatten…