Das Integrationsparadox enthält an Informationen eigentlich nichts Neues. Dennoch ist das Buch von Aladin El-Mafaalani lesenswert, weil es in einer einfachen und verständlichen Sprache geschrieben wurde und eine Zusammenfassung sämtlicher Debatten der letzten Jahre und Jahrzehnte ist. Der Text liest sich flott und es wird deutlich, dass der Autor sich redlich Mühe gegeben hat, anhand verständlicher und einfacher Beispiele seine wissenschaftlichen Erkenntnisse und Meinungen geneigten Leserinnen und Lesern weiterzugeben.
Wenn populärwissenschaftliche Bücher dabei auch noch irgendwie Optimismus verbreiten, umso besser. Allerdings ist das, wie der Autor bei einer Lesung in Hamburg vor muslimischen Akademikern bestätigte, eher eine Auslegungs- und Zeitsache. Denn was wir heute als optimistisch sehen, war – nach Darstellungen des Autors – noch vor ein paar Jahren (2013) in den Augen vieler Experten purer Pessimismus. So beschreibt El-Mafaalani die Reaktionen zu seiner Antrittsvorlesung, die genau das Thema des Buches behandelte.
Integration führt zu mehr Konflikten
Das Integrationsoaradox arbeitet sich entsprechend an vielen aktuellen und alten Debatten rund um das Thema Migration und Integration ab. Es zeigt anhand von Vergleichen und einfachen Modell-Beispielen warum es zu Konflikten in der Gesellschaft kommt, obwohl die Ergebnisse der Integration durchaus und deutlich besser geworden sind. Dabei macht das Buch vor allem auf falsche Erwartungshaltungen und falsche Vorstellungen aufmerksam, die letztlich in Enttäuschung und Resignation enden. Auch erklärt das Buch, dass es eigentlich viel Positives gebe, es aber leider untergehe, weil das Negative eben so laut sei.
Ebenso stellt El-Mafaalani die Kern-These auf, dass wir in einer offenen Gesellschaft leben, an dessen Tisch sich immer mehr Menschen mit Teilhabe und Forderungen setzen möchten, weil es eben gelungenere Integration in Deutschland gebe. Da es jetzt auch um Umverteilung und Macht gehe, führe dies letztlich zwangsläufig zu Konflikten. Es sei ebenso paradox, dass mehr Teilhabe auch mehr Unruhe bedeute. Allerdings muss man konstatieren, dass einige der Grundannahmen des Buches bereits im Kern durchaus eher zu hinterfragen sind.
Haben wir tatsächlich eine offene Gesellschaft?
Beispielsweise ist die postulierte Vorstellung Deutschlands als einer offenen Gesellschaft, im engen wie im weitesten Sinne, eher zu verneinen. In diesem von Karl Popper beschriebenen System, das dem Liberalismus zuzuordnen ist, gibt es durchaus Schranken, auf die der Autor beispielsweise kaum eingeht. Nach Popperschem Verständnis ist die offene Gesellschaft nicht wirklich offen. Sie besteht aus demokratischen Institutionen, deren Unabhängigkeit gestärkt werden muss. Allerdings ist dort ein Tisch so aufgebaut, dass nicht jeder eben an diesem Platz nehmen kann. Es gibt klare und gewollte Grenzen. Die offene Gesellschaft von Popper, die auch im Buch – ohne Nennung des Namens des großen Philosophen – als Idealmodell propagiert wird, ist nur deshalb offen, weil man die Führung demokratisch und ohne Waffengewalt abwählen kann.
Deshalb stellt sich mir vor allem die Frage, ob das Ideal-Modell der offenen Gesellschaft wirklich erstrebenswert ist. Andere Modelle, wie beispielsweise eine Laissez-Faire Gesellschaft im Sinne eines klassischen Liberalismus, erscheinen deutlich attraktiver und hierhin müsste man sich eigentlich weiterentwickeln (, wenn wir das nicht in Form des Wirtschaftsliberalismus bereits tun). Entsprechend ist die Diskussion um Teilhabe und Gleichstellung am Tisch richtig. Allerdings bleibt die Erkenntnis fehlerhaft, wenn man von einer idealen Gesellschaft ausgeht und diese als vollkommen offen betrachtet. Es mag Diskussionen geben, aber Entscheidungen am Tisch können immer noch von einem ausgewählten und ziemlich undurchlässigem Teilnehmerkreis beschlossen und ausgehandelt werden.
Gesellschaftsparadox: Geschlossene Gesellschaft statt einer offenen Gesellschaft?
Gleichzeitig bleibt auch die Frage, ob man schon in der Grundannahme falsch liegt, wenn man bedenkt, dass Deutschland bzw. diese Gesellschaft Instrumente der Abgrenzung und Abschottung besitzt, die weit über das einer offenen Gesellschaft hinausgehen. Es mag sein, dass die Selbstwahrnehmung der Gesellschaft so ist, dass man glaubt, man sei eine offene Gesellschaft. Tatsächlich sehen wir aber Tendenzen und Anzeichen für eine – im popperschem Sinne – geschlossene Gesellschaft.
Anders lässt sich nicht erklären, warum beispielsweise staatliche Institutionen (bsp. Verfassungsschutz) in bestimmten Bereichen das Mitwirken von bestimmten Gruppen oder Personen (bsp. Extremismus) einschränken können und dürfen. Eine echte offene Gesellschaft, die allen gleiche Chancen gewährt und allen gleiche Rechte gewährt, wäre in diesem Sinne, eigentlich nur die Laissez-Faire Gesellschaft, die eben solche Schranken und Einschränkungen nicht kennt und letztlich allen gleiche Teilhabe-Chancen zusichert, solange die Leistung stimmt.
Das Integrationsparadox sollte man dennoch unbedingt lesen!
Sieht man von diesem Aspekt ab, darf man das Buch von El-Mafaalani, dass bereits ein SPIEGEL Bestseller geworden ist, allen zur Lektüre empfehlen. Das Integrationsparadox ist – meiner bescheidenen Meinung nach – vermutlich eines der wenigen Werke, die zusammenfassend sämtliche aktuellen Debatten in Integrationsfragen verkürzt wiedergeben. Dabei gelingt es dem Autor gekonnt, auf die Absurdität dieser Debatten aufmerksam zu machen und so manche Scheindebatte auch aufzulösen. Entsprechend plädiert dieses Buch – mit heutigem Verständnis – eher für eine Gelassenheit bei aktuellen Debatten.
Übrigens: Der Autor hat bei diesem Werk viel Unterstützung durch seine Tochter erhalten. Er sagte wörtlich, bei einem Termin in Hamburg: „Denken Sie bitte daran, sie messen sich beim Lesen dieses Buches mit einer 16-jährigen.“
Titel: Das Integrationsparadox
Autor: Aladin El-Mafaalani
Verlag: Kiepenheuer und Witsch
ISBN: 978-3-462-05164-3