Eigentlich wollte ich diese Buchbesprechung schon länger fertig haben, ich bin aber nicht dazu gekommen, es abzuschließen. Ich hatte auch etwas Angst vor meinem Fazit. Vermutlich werden einige Leserinnen und Leser sich auch wünschen, diese Besprechung wäre so nie veröffentlicht worden.
Ich muss am Anfang auch eingestehen: Ich bin ein kleiner Macho. Ich habe, anders als viele Menschen in meiner Umgebung, immer noch starke, und von patriarchalischen Vorstellungen geprägte, Rollenverständnisse und Bilder. Ich versuche, aus dieser Denkweise herauszubrechen, aber ich sehe die Dinge immer noch anders, als es politisch korrekt wäre. Und ich tue mich immer noch mit feministischen Theorien und Ansichten, gerade von Musliminnen schwer, um nicht zu sagen, sehr schwer.
Das Kopftuch-Thema als Zweck der Selbstverortung nervt
Das ist mir alles beim Lesen des Buches „Mehr Kopf als Tuch“ auch wieder in Erinnerung gerückt und hat mich auch auf den Boden der Tatsachen über meine eigene Selbstwahrnehmung geholt. Ich hatte mir jedenfalls inhaltlich erhofft, dass die Autorinnen wegkommen von aktuellen Diskursen um und über das Kopftuch und mehr davon zeigen, was eigentlich darunter steckt.
Stattdessen geht es in fast allen Artikeln im Buch immer nur um klischeehafte Darstellungen von Musliminnen und das leidige Thema „Kopftuch“. Aus der Machismo-Perspektive stellte sich immer wieder bei mir die Frage: „Ernsthaft? Darüber willst du jetzt auch schreiben? Die trilliardeste Story darüber? Are you kidding me?“ Und das Schlimme war, die Texte waren in der Mehrheit weder anrührend, geschweige denn wirklich mitreißend.
Chance verpasst. Punkt.
Ich habe mich sehr schwergetan, weil ich erwartet habe, dass es hier endlich mal deutliche und starke Texte gibt. Die Autorinnen sind größtenteils in und außerhalb der muslimischen Community schon etwas bekannt. Es gab aber leider keine solchen Texte. Am Anfang hat Amani Abuzahra mit einem zusammenfassenden Beitrag noch die Hoffnungen geweckt, aber dort wo sie bestimmte Dinge gesehen haben wollte, waren sie nicht da. Ich habe mich selten so sehr dabei gelangweilt, zu lesen, was Musliminnen der Öffentlichkeit zu sagen haben. Hier wurde eine große Chance verpasst.
Natürlich gilt das nicht für das gesamte Werk. Es ist letztlich ein Sammelband mit verschiedensten Autorinnen, die sich selbst ein Thema ausgesucht und darüber geschrieben haben. Entsprechend haben mich vor allem die Texte von Dudu Küçükgöl und Nadia Shehadeh doch sehr überrascht und ich fühlte mich auch angetan. Die anderen Namen, teilweise sogar sehr bekannt, haben mich nicht überzeugt.
Pflichtlektüre für alle Männer
Vermutlich hat mich der Text von Küçükgöl so überzeugt, weil in ihrem Text bestimmte Muster dekonstruiert werden. Sie stellt sich nicht als Opfer dar und davon ausgehend stilisiert sie sich auch nicht zu einer Kämpferin für Feminismus. Ihr Text ist aber hoch feministisch und vor allem lesenswert. Eine Pflichtlektüre für den muslimischen Mann, auch deshalb, weil es gute Inputs über die Frühzeit des Islam und der wirkenden Rolle von Frauen in der Gesellschaft gibt.
Nadia Shehadeh beschreibt in ihrem Text sehr eindrucksvoll, wie sich Musliminnen und Menschen und vor allem die Fremd- und Außenwirkung des Palästina-Konfliktes gestalten können. Sie gibt einen Überblick über verschiedenste Wahrnehmungen und gleichzeitig zeigt sie auch, wie sie leben kann und wie sie sich wünscht, dass andere leben können.
Beide Texte, von Küçükgöl und Shehadeh waren Appelle und gleichzeitig Arbeiten, die eindrucksvoll waren. Der Rest war leider Massenware.
Klischeehaft
Selten habe ich mir so große Sorgen um das Image von Wienerinnen und Wienern gemacht, als nach der Lektüre des Textes von Leyla Derman in diesem Buch. Das grenzte schon sehr stark an Reverse-Rassismus. Ich frage mich ernsthaft, ob das gewollt war, solche Bilder von Wienerinnen und Wienern zu verbreiten. Ich muss wirklich sagen: Für mich war es in der Mehrheit nichts.
Es bleibt ein fader Beigeschmack für mich, wenn sich Frauen ausschließlich darüber definieren, dass sie Kopftuch tragen, oder aufgrund ihres Kopftuches Rassismuserfahrungen erlitten haben, die sie besserstellen sollen als beispielsweise Frauen ohne Kopftuch oder Andere. Ich wünsche mir jedenfalls, wenn man Storys erzählen möchte, starke Frauen, die das Bild von emanzipiert und zugleich geistreich prägen und nicht nur in einer Opfermentalität gefangen herumjammern und gleichzeitig selbst mit klischeehaften Darstellungen der Gesamtgesellschaft arbeiten.
Vielleicht liegt es auch an meiner Erwartungshaltung gegenüber einem Buch, mit einem solchen Titel. Muslimische Frauen können mehr und es gibt zahlreiche Beispiele dafür. Dieses Buch fällt aber eher in die Kategorie der Berichte von Alltagsrassismus. Damit ist es aber auch gleichzeitig hochaktuell. Wer an #meTwo nicht glaubt, findet hier Erfahrungen, die man auch anderweitig lesen kann. Sie sind aber zum größten Teil nicht stellvertretend für emanzipierte, freie und erfolgreiche muslimische Frauen, die eben mehr sind, als nur ein Kopftuch.
Hinweis: Der Tyrolia-Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Ich danke dem Verlag für die Zusendung des Buches. Es tut mir nur leid, dass mein Urteil leider sehr anders ausfällt, als die hypenden Kommentare auf Amazon.
Herausgeberin: Amani Abuzahra
Verlag: Tyrolia
ISBN: 978-3-7022-3637-3
Link zur Verlagsseite: https://www.tyroliaverlag.at/list/9783702236373
Mehr Kopf als Tuch – Muslimische Frauen am Wort