„Aktuell steht das Bürgergeld wieder im Zentrum einer oft polemisch geführten Debatte. Eine häufig gehörte Unterstellung ist, dass es sich für Bezieher*innen von Bürgergeld nicht lohne, erwerbstätig zu sein, weil das Bürgergeld zu hoch sei. Die Zahlen dieser Studie zeigen erneut, dass Bürgergeldempfänger*innen unabhängig vom Haushaltstyp und von der Region, in der sie wohnen, weniger Geld haben als Erwerbstätige, die zum Mindestlohn arbeiten“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI zu den Ergebnissen der Studie.
Kohlrausch ergänzt: „In Regionen, in denen der Abstand geringer ist, liegt dies an den Mieten, die in einigen Gegenden extrem hoch sind. Das verweist auf ein Feld, auf dem es im Gegensatz zum Niveau des Bürgergelds tatsächlich dringend politischen Handlungsbedarf gibt: Die Schaffung bezahlbaren Wohnraums, die sowohl die Staatskasse als auch die unteren Einkommen entlasten würde.“
Mehr Einkommen bedeutet nicht automatisch mehr Anreiz zum Arbeiten
Die Ergebnisse der Studie sind mit Vorsicht zu genießen. Mehr Einkommen bedeutet nicht unbedingt mehr Anreiz, arbeiten zu gehen. Wenn ich für rund 600 € mehr im Monat 40 Stunden die Woche zum Mindestlohn arbeiten gehen soll, ist das nicht unbedingt ein Anreiz. Tatsächlich kann ich es mir auch bequem machen und auf die 600 € verzichten. Es hängt davon ab, ob diese 600 € am Ende signifikante Änderungen an meinen Lebensverhältnissen bewirken und sich dafür der Mehraufwand lohnt. Wenn man nur auf monetäre Anreize blickt, erscheint es zwar zunächst plausibel, aber auch nicht vollständig durchdacht.
Unberücksichtigt bleibt in der WSI-Studie, dass solche Konstellationen geradezu zur Schwarzarbeit einladen. Ich kenne selbst Fälle, in denen Scheinverträge erstellt werden (100 € für 8 Stunden Arbeit im Monat), um dann unter der Hand deutlich mehr Geld zu erhalten. In einem echt dreisten Fall hat die Person beispielsweise 20 Stunden pro Woche gearbeitet, Bürgergeld bezogen, Kindes- und Trennungsunterhalt und die 100 € auf das Bürgergeld anrechnen lassen. Nebenbei aber mehr als 2000 EUR Cash auf die Hand erhalten. Warum sollte diese Person in einen Vollzeitjob wechseln und dafür dann am Ende nur 600 € mehr erhalten?
Bürgergeld muss gegen Missbrauch reformiert werden
Es ist aus meiner Sicht keine Unterstellung mehr, sondern ein Fakt, dass Bürgergeld in seinem jetzigen Modell sowohl von der Aufnahme von Arbeit abhält als auch keinen echten Anreiz bietet, weil der Aufwand für mehr Geld häufig nicht lohnt. Gerade die aktuelle Studie zeigt, dass mit eingerechnete zusätzliche Dinge, wie Kinderzuschlag, am Ende den Braten nicht fett machen. Arbeit muss sich lohnen. Und das kann es nicht, wie auch die Studie selbst erkennt, wenn Bürgergeld und Mindestlohn zu nah beieinanderstehen. Gleichzeitig fehlt es an ordentlichen Sanktionssystemen und der flächendeckenden Überwachung von Schwarzarbeit.
Die Studie verkennt außerdem, dass viele Personen gar nicht in Vollzeit arbeiten können. Wie soll eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, bei der aktuellen Struktur des Arbeitsmarktes und bei der häufig ausfallenden und unsicheren Kinderbetreuung es hinbekommen, in Vollzeit zu arbeiten? Ein Grund dafür, warum viele Alleinerziehende tatsächlich in Teilzeit arbeiten, wodurch allein schon die Rechnung zeigt, dass es sich noch weniger lohnt, arbeiten zu gehen.
Bürgergeld als Grundsicherung für tatsächlich Bedürftige ausbauen
Insofern ist die Studie – anders als die Interpretation aus der Hans-Böckler-Stiftung – eher ein weiteres Indiz dafür, dass das Bürgergeld dringend reformiert werden muss. Das schließt allerdings nicht nur das Thema Sanktionen etc. ein oder die Schere zwischen Bürgergeld und Mindestlohn. Es geht auch darum, dass die Vermittlung von Personen verbessert werden muss. Eine Person, die bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung hat und auf Bürgergeld angewiesen ist, benötigt keine Umschulung und sollte schnellstmöglich wieder dem Arbeitsmarkt zugewiesen werden. Doch genau das passiert häufig nicht.
Insgesamt ist das System anfällig dafür, Menschen, die Bürgergeld eigentlich nicht bräuchten, weiter im System zu halten, statt sie dem Arbeitsmarkt zuzuführen. Bürgergeld muss eine Ausnahme und soziale Lösung für all diejenigen sein, die es wirklich benötigen. Aktuell muss man konstatieren, dass sich Arbeit weiterhin häufig nicht lohnt – auch wenn die Studie des WSI das Gegenteil zu behaupten versucht.