Mein Lesegeschmack in diesem Jahr ist mehr als kompliziert. Ich lese querbeet alles, was mir irgendwie unterkommt. In diesem Jahr haben es mir aber auch viele Selbsthilfebücher angetan. Als ich wieder einmal auf der Suche nach einem solchen Buch war, stieß ich in meinem Lieblingsbuchladen auf „Allein“ von Daniel Schreiber.
Die Auswahl schien meinem Buchdealer nicht so besonders zu gefallen. Er musterte mich an der Kasse und das Buch und sagt schließlich: „Das ist nichts für dich.“ Ich wurde stutzig, da im Einband sogar eine positive Bewertung aus der „Die Zeit“ abgedruckt war. Also fragte ich: „Warum?“
„Der Autor ist schwul und schreibt in seinem Buch auch aus einer queeren Sicht. Das wird dir nicht gefallen!“, sagte mein Buchdealer. „Du bist halt Muslim. Da treffen Lebensentwürfe aufeinander, die nicht kompatibel sind.“ Nix gegen meinen Buchdealer. Er kennt mich seit ein paar Jahren und kennt auch meinen „normalen“ Buchgeschmack.
Sexuelle Orientierungen sind mir egal
Mir ist es egal, ob ein Autor schwul oder sonst etwas ist. Mein Muslim-Sein hindert mich vor allem nicht daran, ein Buch zu kaufen, nur weil der Autor aus Sicht der Mehrheitsgesellschaft „inkompatibel“ mit meiner Weltsicht zu sein scheint. Mir stellt sich immer die Frage: Gibt es eine Perspektive, die mir einen Mehrwert bietet?
Doch was ist schon „normal“. Seit meiner Trennung struggle ich mit dem Thema des allein seins und lese immer mehr in Werken, die meinem üblichen Geschmack nicht entsprechen. Selbsthilfebücher sind da auch eine willkommene Abwechslung. Doch dazu zählt der Essay „Allein“ nicht.
Schreiber hat ein grundlegendes Verständnis des Seins und des allein Seins geschrieben. Der Essay behandelt auf vielfältige Weise die Fragen nach dem Sinn unseres Lebens und zugleich gibt es Anregungen für drängende Fragen unserer Zeit, die besonders Singles und Menschen, die sich einsam fühlen, betreffen. Das Thema ist also hochaktuell und zugleich politisch.
Ein paar Zitate aus dem Buch
Das klingt wieder mal abgedroschen, aber nehmen wir z. B. dieses Zitat: „Wenn man wandert, weil es einem nicht gut geht, will man sich nicht finden, oder zumindest zunächst nicht, erst einmal möchte man vor sich weglaufen.“ Ich habe diesen Satz gefühlt. Es drückt die Suche nach der Selbstfindung auf unbekannte Weise hervorragend aus.
Oder auch dieses hier, was unsere „Leistungsgesellschaft“ sehr gut beschreibt: „Wenn Gesellschaften ihre Mitglieder wie selbstverständlich in Gewinnende und Verlierende aufteilen, führt das vielleicht zwangsläufig dazu, dass nur jene Menschen freundlich sind, die es nötig haben.“
Oder dieses hier, mit Blick auf „Andersartigkeit“ und dem unvermeidlich erscheinenden Schicksal: „Für viele von uns scheint eingetreten zu sein, wovor wir als Jugendliche, häufig sogar in bester Absicht, gewarnt worden waren: dass unsere Andersartigkeit für ein Leben sorgen würde, das wir allein, ohne Liebe, verbringen werden.“
Man könnte hier weiter Zitat an Zitat aneinanderreihen. Im Grunde beschreibt Schreiber die Gesellschaft, die Normen und moralischen Vorstellungen, er spricht über Liebe, über das allein sein, über Freundschaften, über den Druck den Gesellschaften auf vermeintliche Andersartigkeit ausüben, über die Scham, die queere Menschen empfinden und wie wir in unserer Gegenwart zu mehr Gelassenheit und Klarheit finden können.
Ein Buch, das uns verstehen lässt, was allein sein bedeutet
Der Essay ist nicht abgeschlossen und teilweise verliert sich Schreiber in diversen Gedanken, die nicht zu Ende gedacht sind, aber es sind Ansätze, die Lesende dazu verleiten, noch tiefer und intensiver darüber nachzudenken, was Schreiber da als Gedanken versucht einzupflanzen.
Im Grunde erklärt Schreiber, dass Einsamkeit real ist und es verdammt wehtun kann. Dennoch gibt es laut Schreiber auch diverse Wege, um aus dieser Einsamkeit, und den damit verbundenen negativen Folgen, zu entkommen. Schreiber vertritt die Theorie, dass man mit Begegnungen und Aktivitäten Einsamkeit (teilweise) überwinden kann.
Ich bin da geteilter Meinung. Es kommt aus meiner Sicht auch auf den Typ und das selbst erlebte an. Im Grunde aber sind die Einsichten in seinem Essay lesenswert und haben mich auch über meine eigene aktuelle Situation noch einmal intensiver reflektieren lassen. Wichtig war und ist für mich, nicht nur optimistisch in die Zukunft zu blicken. Vielmehr braucht es einen vernünftigen und realistischen Plan.
Diesen Gedankengang hat Schreiber mit seinem Werk weiter getragen.
Titel: Allein
Autor: Daniel Schreiber
Verlag: Suhrkamp
ISBN: 978–3–518–47318–4
Hinweis in eigener Sache: Dieser Beitrag ist eine freiwillige Buchbesprechung. Der Autor wurde dafür weder bezahlt noch beauftragt. Es handelt sich um ein selbst gekauftes Buch, kein Rezensionsexemplar.
Buchbesprechung: Allein von Daniel Schreiber