Buchbesprechung: Frausein von Mely Kiyak

In ihrem autobiografischen Werk "Frausein" berichtet Mely Kiyak über ihre Erfahrungen und ihr Dasein als Frau in Deutschland mit ausländischen Wurzeln. Doch taugt diese Geschichte als Vorlage und Verallgemeinerung für andere Frauen mit ähnlicher Geschichte? Teilweise, wie ich finde. Eine Buchbesprechung.

Max Czollek ist seit seinem Werk „Desintegriert euch!“ ein geschätzter Autor in meiner Sammlung. Sein Werk trug zu neuen Ansichten über die Verortung der theoretischen Gebilde einer postmigrantischen Gesellschaft bei. Ich verfolge seither den Autor auf Twitter und schaue auch immer wieder auf die Arbeit des Maxim Gorki Theaters. Ein Name, der immer wieder dabei auftaucht, ist auch Mely Kiyak. Auf dessen neuestes Buch „Frausein“ machte auch Czollek aufmerksam. Er legte es in einem Tweet wärmstens ans Herz. Ich kaufte mir das neue Werk von Czollek (Gegenwartsbewältigung) und auch das von Kiyak.

Ich kannte Kiyak als erfolgreiche Kolumnistin. Ich habe ihre Arbeit in den vergangenen Jahren immer wieder beobachtet, aber irgendwie bin ich mit den Ansichten von Frau Kiyak nie wirklich warm geworden. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie ich damals auch bei der Sarrazin-Debatte erschrak, als ich ihre, vom Presserat später missbilligte, Aussage über den Autor las. Musste man Sarrazin nicht entkräften, statt ihn zu beleidigen und das auch noch mit einer Behinderung? Kiyak sprach mir nicht aus der Seele in ihren Kolumnen. Ihre Texte waren auch eher politisiert als politisch. Sie war aber immer eine interessante Stimme und oft genug auch Anker im Gewitter heillos überforderter Debatten über migrantische und muslimische Entwicklungen.

Frausein ist ein sehr persönliches Buch

Kiyak wird in ihrem autobiografischen Werk sehr persönlich. Ich finde, es kann gar nicht persönlicher sein, wenn eine Frau in einem Buch über ihre (ersten) sexuellen Erfahrungen schreibt oder ihre ersten Berührungspunkte mit Aufklärung und Gewalt. Dabei sind es Einblicke, die einem Mann nicht klar sind und oft verschlossen bleiben. Aus der männlichen und muslimischen Perspektive gelesen war es für mich dann doch etwas zu viel des Guten.

Auf der anderen Seite hat Kiyak kein Tabu aus der sexuellen Entwicklung und schließlich ihrer Entscheidung damit umzugehen gemacht. Das ist ehrlicher und menschlicher, als wir in vielen Büchern über das Thema überhaupt lesen können. Vielleicht ist das auch die besondere Stärke dieses Buches, die mich als Mann nicht angesprochen, aber vermutlich vielen Frauen ein Bedürfnis der Aussprache entlockt oder zumindest zur Unterhaltung anregt. Dabei glänzt Kiyak auch mit ihren Beschreibungen von den Beschreibungen der sexuellen Handlungen.

„Sie beschrieb: Als lutschte man aus einer umgestülpten Feige das Fruchtfleisch aus.“

Mely Kiyak, Frausein, S. 31

Eine typisch untypische Jugend

Kiyak beschreibt im Buch vor allem ihre eigene Historie, die – mit Abstrichen – durchaus das Zeug als Stellvertretergeschichte für viele andere hat. Die Erzählungen von familiären Verhältnissen, vom Engagement der Eltern, den eigenen Antrieben und dem Stress beim Erwachsenwerden lassen sich auf andere Menschen übertragen. Eine Besonderheit kommt den kulturellen Aspekten zugute, weil diese sich nicht so einfach übertragen lassen.

Kiyak hat kurdische Wurzeln und diese Erfahrung schwingt im Buch nur teilweise mit. Es sind Andeutungen vorhanden, die beispielsweise leninistische oder marxistische Welten betreffen. Auf der anderen Seite aber auch eine islamisch angehauchte Präsenz vermuten lassen. Das ist nicht untypisch, es ist aber übertragen auf alle Personen in Deutschland, mit einem Migrationshintergrund eher untypisch. Dennoch trifft es auf eine signifikante und nicht zu vernachlässigende große Gruppe von Menschen zu.

„Ich war mit Sufismus aufgewachsen, mit altorientalischer Dichtung, mit politischen Theorien, mit einer Kultur, verwoben mit Elementen, die nicht einmal als Schatten in den Fächern vorkamen, die ich studierte.“

Mely Kiyak, Frausein, S. 60

Sozialer Aufstieg mit Hürden

Interessant ist auch wie Kiyak den Umgang mit verschiedenen Themen beschreibt. Gerade die Erzählung vom Tod und wie man damit umging, sei es die stille Trauer, weil man bei der Beerdigung nicht dabei sein konnte oder die 40 Tage Trauer sowie des festlichen Abschieds an einen geliebten Menschen. Die Versuche, wie Tanten ihre „Nichten“ zu verkuppeln versuchen, mit jungen Männern, die als „Efendi“ vorgestellt werden. Das Niederschuften in den Fabriken oder zu versuchen sich Lesen und Schreiben beizubringen.

Der Aufstieg, indem man als „Erste“ in der Familie studieren darf. Der Fall, weil man für niedere Aufgaben nicht mehr die Küche betreten darf. Die familiäre Verbundenheit, der man sich emanzipiert und überdrüssig ist. Die Liebe, die dennoch innewohnt und nur dann ausgesprochen wird, wenn man sich wieder mal nicht allein, sondern einsam fühlt. Der Wechsel in den Traumjob und davor das Abrackern, um sich überhaupt das Studium finanzieren zu können.

„Es ist absolutig richtig: Ich komme aus dem materiellen Nichts. Aber offensichtlich war dieses Nichts genug für alles, was danach kam.“

Mely Kiyak, Frausein, S. 95

Mely Kiyak ist vorbildlich aber speziell

Und doch zeigt Kiyak die Schattenseiten auf. Sie spricht auch aus, was für ein Druck überhaupt vorhanden war und bis heute auch ist. Dabei gibt sie aber auch entscheidende Hinweise: Man muss gar nichts schaffen. Und überhaupt: Was bedeutet etwas schaffen? Die Frage um die sich Kiyak eigentlich herumwindet ist die Frage nach dem persönlichen Glück. Sie hat eine Karriere hingelegt und erlebt vermutlich gerade eine schwere Zeit. Ihr Körper will nicht so, wie sie es gerne hätte. Sie stemmt sich dagegen und allein das macht sie bewundernswert.

Auf der anderen Seite bleibt Kiyak speziell. Es ist Melancholie herauszulesen aus den Zeilen in ihrem aktuellen Buch. Sie versteift sich nicht in die Dinge und springt mal vor und mal zurück. Ihre Anekdoten sind übertragbar, aber eben nicht auf alle Frauen. Es ist die Geschichte einer besonderen Frau, die sich in einer Ausnahmesituation befindet. Ihre Einblicke und Eindrücke sind subjektiv und vor allem wahr. Sie sind aber eben für Kiyak wahr. Und vermutlich ist es auch gar nicht die Intention der Autorin ein Vorbild oder eine Stellvertreterin für eine ganze Generation von Frauen zu sein.

Sie wollte vermutlich einfach ihre Geschichte erzählen und damit auch ein eigenes Statement setzen. Oder einfach nur schreiben. Es ist ihr gelungen und wir haben ein lesenswertes und persönliches Buch einer starken Frau, der man nur viel Kraft und Geduld wünschen kann.

Autorin: Mely Kiyak
Verlag: Hanser
ISBN: 9783446267466

Akif Şahin

Akif Şahin aus Hamburg. Arbeite als SEO-Manager für eine der größten Bildungs-Gruppen in Europa. Als Muslim interessiert mich die Geschichte und Kultur des vorderen Orients. Auf diesem Blog gibt es Einsichten, Aussichten und Islamisches.

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