Neben Paulo Coelho, Rafik Schami und Feridun Zaimoğlu gehört auch Ferdinand von Schirach zu meinen liebsten Autoren. Ich lese zwar querbeet alles Mögliche, aber es gibt diese Autoren, zu denen man immer wieder gerne zurückkehrt. Von Schirach gehört dazu, obwohl es mehr eine Abhängigkeitsbeziehung ist, als eine gesunde Leseleidenschaft. Nach dem Lesen seiner Bücher bin ich erst einmal in Melancholie versunken und komme da auch nicht mehr so einfach raus.
Ein Grund dafür, warum ich das Lesen des neuesten Werkes nicht in meiner Wohnung beginnen wollte und stattdessen im Café gestartet bin. Neben einer Cola, Kaffee und Zigaretten (sic!) fing ich also an, die ersten Worte aus dem neuen Werk und der namensgebenden Geschichte „Der stille Freund“ zu lesen. Aus dem Beginn im Café wurde wieder diese Sucht, das gesamte Buch zu verschlingen. Und es dauerte wieder nur den Nachmittag, ehe ich fertig war.
Karge Worte, wenig Gewandheit
Von Schirach ist kein grandioser Autor, er ist kein Meister der Wortkünste, er ist bis jetzt nicht mal wirklich das, was wir einen „echten“ Weltklasse-Autor nennen würden. Er ist ein Bestseller-Autor. Seine Texte sind jedoch häufig kurz gehalten. Er erzählt mit wenigen Worten Geschichten, und oft berühren uns diese Texte, weil sie mitten aus dem Leben zu sein scheinen und uns ermöglichen, über unser eigenes Sein und Leben nachzudenken.
Er füllt die Texte so karg, dass man sich in Gedanken alles dazu erdenken und fühlen kann, worum es dem Autor eigentlich ging. Ferdinand von Schirach mag also all das nicht sein, was wir einen klassischen Autor nennen würden, aber er ist vermutlich der beste deutsche Geschichtenerzähler der Gegenwart. Und vielleicht macht das auch den Charme aus, seine Bücher lesen zu wollen.
Von Schirach zieht immer in seinen Bann
Ein Dramaturg, der sich nicht an die Regeln der Schreibkunst hält und der sein Publikum in einen depressiven Gemütszustand steckt. Ein Erzähler, der seine Lesenden dazu zwingt, sein Werk bis zum Schluss zu lesen, weil wir alle wissen, dass ein gutes Ende kommen muss. Was wäre die Welt doch grausam, wenn Geschichten und Bücher mit einem schlechten Ende enden. Wie traurig und öde wäre das? Wer will dann noch eine Fortsetzung lesen?
Ich habe viele Werke von Schirach gelesen: Verbrechen, Schuld, Carl Tohrberg, Strafe, Kaffee und Zigaretten, Jeder Mensch, Nachmittage und nun auch Der stille Freund. Einige Bücher vermisse ich schmerzlich, andere habe ich in meiner neuen Bibliothek bereits ersetzt. Und auch mit „Der stille Freund“ ist sich von Schirach treu geblieben und hat es geschafft, mich in seinen Bann zu ziehen.
Achterbahn der Gefühle
Von Schirach schreibt mal wieder über das Leben, über den Tod, über Sinn und Unsinn und über Farben, Gefühle und Trauma. Selten stellt sich bei mir während des Lesens ein Lächeln ein, selten zieht sich mein Magen zusammen und ich habe Krämpfe. Und selten sitze ich am Computer und schaue mir am Bildschirm eine große Pixelversion eines bekannten Gemäldes an, um eine Spur zu dem zu finden, was da im Buch berichtet wurde.
Kurz: Der Meister hat sich mal wieder selbst übertroffen und mich für einen ganzen Nachmittag köstlich und zugleich sehr brutal unterhalten. Was ich als wichtigsten Satz aus diesem Buch für mich dieses Mal mitnehme, ehe ich mich zurück in meine depressive Grundstimmung verflüchtige und vermutlich tagelang das Buch verarbeiten werde: „Auch ein freundlicher Mensch kann dich zerstören, er braucht nur mehr Zeit dafür.“
In diesem Sinne, sei „Der stille Freund“ herzlich empfohlen.
Bewertung: ★★★★★ (5 von 5 Sternen)
Buchdetails

Titel: Der stille Freund
Autor: Ferdinand von Schirach
Verlag: Luchterhand Literaturverlag
ISBN: 978-3-630-87812-6
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