Henrik Ibsen: Nora oder Ein Puppenheim / Hedda Gabler

Henrik Ibsen und seine Figuren begleiten mich seit dem Jahr 2002. Es war Stoff für meine Abschlussprüfung, was ich in „Ein Volksfeind“ gelesen habe. Gleichzeitig war es mir auch ein Leichtes, mich mit Hauptfiguren zu identifizieren, die sich selbst ins Unglück stürzen. Das ist der Lohn für Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und die Sorge um Andere. Das hat mich Ibsen schon damals gelehrt und vermutlich auch meinen geistigen Weg stark mit beeinflusst. In dem nun vorliegenden Band wurden die beiden Stücke „Nora oder Ein Puppenheim“ sowie „Hedda Gabler“ zusammen vorgestellt, sodass ich auch beide Werke gelesen habe.

Zu Nora oder Ein Puppenheim kann ich sagen, dass das Werk, welches zu seiner Zeit nicht nur einen Tabubruch, sondern auch einen Ansatz von Emanzipatorischer Kritik an Familien- und Gesellschaftsvorstellungen auslöste, an Aktualität kaum eingebüßt hat. Es ist das Werk, dass erneut zu falschen Erwartungen und Erlösungshoffnungen eine Lösung bietet, die aufwühlt, die skandalös und zugleich freiheitlich wirkt. Ibsen hat sich schon zu seiner Zeit als Jemand verstanden, der mit seinen Stücken nicht nur für Aufruhr, sondern für alternative Narrative in der Lebensweise gestanden hat. Diesem Stil ist er auch bei Nora treu geblieben. Es ist ein Werk, dass sicherlich zu den ganz großen der Weltliteratur zählt.

Anders ist dagegen Hedda Gabler. Hier zeichnet Ibsen eine Figur nach, die zwar tragisch endet, aber letztlich nur das erfüllt, was es als Ausweg betrachtet. Die Figur, die dargestellt wird, ist der Inbegriff einer Soziopathin. Es fehlt aus meiner Sicht an Mitgefühl bei der Figur Hedda Gabler, die weder die Menschen liebt, die sie lieben, noch versteht, wie Menschen, die sie verachtet, sich gegenseitig lieben können. Diese fehlende Empathie ist es, die am Ende zum Tode einer Nebenfigur und letztlich auch zum eigenen Tode führt. Gabler, die als kalt, berechnend und unbarmherzig bezeichnet werden kann, will sich nicht erpressen lassen und wählt den Freitod. Auch hier eine kontroverse Geschichte, die sicherlich die Gesellschaft in Aufruhr versetzt und auch zum Denken bewogen hat. Andererseits muss man kein Mitleid bei der selbstverschuldeten Unmündigkeit der Figur Gabler zeigen.

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Düster, brisant und hochaktuell

In dem Doppelband begeistert Ibsen mit seiner düsteren und zugleich einfachen Erzählweise. Seine Figuren stehlen sich erneut mit ihren Charakteren einen Weg durch das Dickicht der Tragödie namens Leben. Ob das Ergebnis der freien Entscheidungen wirklich passt, lässt sich mit heutigem Blick schwerer sagen als vermutlich früher geantwortet wurde. Da war die Antwort einfach: Ja. Heute muss man sagen, dass Ibsens Werke nicht aus der Zeit gefallen, aber die Ergebnisse durchaus kontrovers zu betrachten sind. Gesellschaftlich hat sich vieles getan, wir dürfen uns aber nicht wundern, wenn Aufmüpfigkeit, Emanzipation oder der Wille nach freier Selbstbestimmung und Freitod immer noch für Aufruhr und Unverständnis sorgen. Vielleicht ist das auch der bessere Weg – zumindest glaube ich selbst daran.

In einer freiheitlichen und liberalen Gesellschaft, wie sie Ibsen vorschwebte, wären diese Punkte kein Thema der gesellschaftlichen Diskussion, sondern Themen der längst verankerten und gesetzlich geregelten Akzeptanz. Auf der anderen Seite bleibt natürlich die Frage, wie weit die Themen Emanzipation und Selbstbestimmung reichen dürfen. Ist Leben per se schützenswert und vor allem auch lebenswert? Heute würden wir gesellschaftlich jeden verteufeln, der den Freitod öffentlich wählen und unterstützen möchte, so wie es auch in Deutschland passiert. Doch hinter den verschlossenen, sterilen und oft unkenntlichen Türen der Leichenschauhäuser reihen sich Selbstmörder an Selbstmörderinnen. Jedes Jahr nehmen sich, laut Statistik, 10.000 Menschen das Leben allein in Deutschland. Auch darüber müssen wir sprechen. Und Ibsen spricht darüber besser als so manch anderer Zeitgenosse oder Politiker ohne dabei seine Figuren zu überzeichnen.

Titel: Nora oder Ein Puppenheim / Hedda Gabler
Autor: Henrik Ibsen
Verlag: Fischer
ISBN: 978-3596900473

Akif Şahin

Akif Şahin aus Hamburg. Arbeite als SEO-Manager für eine der größten Bildungs-Gruppen in Europa. Als Muslim interessiert mich die Geschichte und Kultur des vorderen Orients. Auf diesem Blog gibt es Einsichten, Aussichten und Islamisches.

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