Wenn du etwas versprichst, dann halte dich auch dran! Das ist einer von wenigen Grundsätzen, mit denen ich versuche, durchs Leben zu kommen. Ich nehme diesen Grundsatz sehr ernst und doch fange ich langsam an, an allen Grundsätzen in meinem Leben zu zweifeln.
Ich hatte immer rote Linien und habe mich immer an diesen Linien orientiert. Das Resultat ist, dass ich vor dem Scherbenhaufen dessen stehe, was sich Leben nennt. Alle Menschen um mich herum sagen, es wird bessere Zeiten geben. Ja, das mag stimmen, aber doch habe ich zunächst einmal versagt.
Man beginnt dann im Versagen zu reflektieren und sucht einen neuen Halt. Ich glaubte, diesen Halt gefunden zu haben. Im Türkischen sagt man: “damdan düşen damdan düşenin halinden bilir.” (Derjenige, der vom Dach fällt, kennt den Zustand desjenigen, der vom Dach fällt.) Ich glaubte, eine solche Person gefunden zu haben und wir versprachen uns etwas.
Wir versprachen uns “gemeinsam einsam” zu sein. Einfach so. Nichts mehr und nichts weniger. Aber es halt nicht gehalten. Ich war am Ende wieder nicht gut genug. So lese ich das Erlebte und so ordne ich es aktuell ein. Monatelang war die eine Frage, die mich immer wieder beschäftigte: “Warum?” und “Warum ich?”. Es gibt so viel, was ich machen wollte, aber ich bin zu nichts gekommen.
Es ist ein sehr fragiler Zustand, in dem ich aktuell bin. Der nächste Zusammenbruch könnte mich schon unmittelbar wieder aus der Bahn werfen. Dabei gebe ich mir Mühe und ordne die Dinge, wie es mir gerade möglich ist. Ich habe viele Dinge geändert, was mein Leben betrifft und dann sind Zufälle halt da, die einen doch wieder nachdenklicher machen.
Vor ein paar Tagen kam auf meiner fyp auf TikTok dieses Video. Ein Typ spricht eine Frau auf einer Brücke an, ob alles okay ist. Das Gespräch entwickelt sich und alle fragen sich, ob sie mit ihm nach Hause geht.
Es ist ein Ausschnitt aus der Dramaserie “Northern Lights”, welche auf ZDFneo und in der ZDFMediathek verfügbar ist. Ich habe alle Folgen mittlerweile durch und sehe erstmals wieder eine Serie, die tiefgründig der Frage nachgeht, warum wir eigentlich “Leben”. Das Thema begleitete mich auch beim Lesen von “Leben” von Yu Hua.
Eine der Folgen heißt “gemeinsam einsam”. Und ich musste wieder an diese eine Person denken. Ich habe in den letzten Monaten alles geordnet, was ich ordnen konnte, mein Leben geht in die richtige Richtung und ich kann mit viel Optimismus nach vorne schauen. Aber, wieso nimmt es mich noch immer mit, dass ich, obwohl ich alle Freiheiten dieser Welt genieße, gar nicht frei sein möchte?
Vor zwei Monaten habe ich meinen engen Freunden geschrieben, dass ich mir eine Auszeit gönne. Ich wollte einen klaren Kopf bekommen und mich mehr auf mich konzentrieren. Sie haben sich Sorgen gemacht, aber meinen Wunsch respektiert. Und ich bin in diesen zwei Monaten viel weiter gekommen, als ich gedacht hätte.
Ein Grund dafür, warum ich vermutlich so stark auf das Thema “gemeinsam einsam” so fixiert bin, ist, dass ich noch immer mit meinem aktuellen Leben unzufrieden bin. Die Dinge werden sich aber mit der Zeit lösen. Und ich werde lernen müssen “einsam” zu leben und auch lernen, dass es gut für mich ist.
Ich habe es schon einmal geschrieben und ich sehe mich Tag für Tag bestätigt: Ich bin nicht für diese Zeit und die Menschen dieser Zeit gemacht. Und auch da muss ich jetzt etwas ändern. Rote Linien werden neu gezogen, die Gestaltung meines Daseins orientiert sich neu und ich lerne neu, wie es sich anfühlt, bestimmte Dinge einfach mal nicht haben zu können.
Der Ramadan hilft da ungemein. Der Monat des Verzichts ist auch der Monat, in dem man die Einsamkeit feiern kann. Natürlich wäre es schön, diese Einsamkeit zu teilen. Aber was hilft, über Dinge zu sprechen, die man nicht ändern kann. Ich weiß es nicht. Ich schreibe es hier nieder, damit es hier bleibt und nicht in meinem Kopf.
Abschließend sei noch erwähnt, dass ich in letzter Zeit wieder viel bete und die Chance nutze, in der Niederwerfung vor Allah (swt) meine Bittgebete aus tiefstem Herzen auszusprechen. Sie werden nicht gehört. Doch es tröstet mich, dass ich sie aussprechen und artikulieren kann. Etwas hat sich verändert. Ich kann nur nicht sagen, was.
gemeinsam einsam