Im Hof war immer Schatten. Wir spielten dort, wenn die Mittagssonne zu gefährlich wurde. Unsere Eltern waren in dieser Zeit häufig auf dem Feld arbeiten. Meine Tante legte uns unser Essen bereit und verpackte unseren kalten Ayran, der tief im dunklen Schatten gelagert wurde. Kühlschränke gab es damals bei uns nicht. Der Strom fiel immer wieder aus. Anatolien, das war Abenteuer.
Wir blickten auf dem Boden des Hofes gen Himmel. Wir malten uns die Wolken schön. Wir sahen Figuren, Kreaturen und Monster. Und manchmal erfüllte uns jede Wolke mit einer inneren Ruhe. Die Welt war wunderschön. Und manchmal blickten wir aus dem gleichen Hof gen Himmel in der Nacht. Der Sternenhimmel über Abdalata erleuchtete unsere Herzen. Wie unendlich das Universum schien.
Wir waren Kinder, die nur selten etwas Süßes bekamen. Mein Onkel erklärte uns, als wir wieder mal nach Bonbons fragten, dass diese komischen Beeren vom alten Baum, der uns den Schatten im Hof besorgt, essbar seien. Wir sollten unbedingt mal die Beeren vom Baum pflücken und sie probieren.
Wir ließen uns nicht zweimal bitten. Meine Cousins und Cousinen holten Leitern, wir kletterten auch ohne auf den Baum, schüttelten an Ästen und unten fingen wir auf, was auf den Laken zum Sammeln ankam. Es waren weiße Beeren, die wir auf Türkisch einfach nur “dut” nannten.
Es ist vermutlich die wichtigste Erinnerung an diesen Ort. Denn Maulbeeren habe ich in Deutschland nie gegessen. Schon gar nicht weiße und süße Maulbeeren, wie es sie nur hier im Dorf Abdalata bei meinem Onkel Ibrahim gab. Der süß-säuerliche Geschmack der Maulbeeren waren und sind die gemeinsame Erinnerung an unsere Kindheit.
Zeitweise haben wir uns, wie die Vögel auch, nur noch von diesen Beeren ernährt. Es war unser gemeinsames Zuhause auf Zeit. Und Onkel Ibrahim erzählte einst, er hätte diesen Baum noch selbst gepflanzt, als er jung gewesen ist … Unseren Kindern erzählen wir diese Geschichte und sie freuen sich auf den Maulbeerbaum.
Und dennoch wird auch diese Geschichte und der Baum, inmitten des ungenutzten Hofs, von seinen Enkeln und Urenkeln noch erzählt werden. Und wann immer ich in Abdalata bin, da schaue ich voller Sehnsucht nach dem Maulbeerbaum, der längst aus dem Hof hinaus auf die Straßen von Abdalata reicht und seinen süßsauren Geschmack den Kindern auf den Straßen schenkt.