Das Projekt “QualiMoVe” des Islamischen Wissenschafts- und Bildungs-Instituts (IWB) e. V. hat eine Islamwoche in Hamburg auf die Beine gestellt. Die Veranstalter haben mit verschiedenen Partnern zusammen ein buntes Programm für Jung und Alt vorbereitet. Im Vorfeld wurde auch dafür breit (mit medialer Unterstützung) während des jährlichen Tags der offenen Moschee geworben. Am Dienstag war Ahmet Aydın zu Gast in Hamburg und hat im Altonaer Museum eine Lesung gehalten.
Nisa-Nur Evren, vom Netzwerk Muslimischer Akademiker, nahm mit ihrer eloquenten, intelligenten und herzlichen Art das Publikum von Anfang an mit und führte souverän durch den Abend und die Lesung. Die musikalische Begleitung am Anfang und am Ende des Abends wurde von zwei Meistern des Nay und Kanun übernommen, Turan Vurgun und Hafız Osman Çelik. Ich kenne und schätze beide schon seit Jahren und durfte erneut den wundervollen Klängen der Instrumental- und Sufi-Musiker zuhören.
Der deutsche Diwan
Im Hauptteil stellte Ahmet Aydın anhand seines Werkes “Der deutsche Diwan. Eine Erschütterung des Seins” verschiedene lyrischen Formen, Entwicklungen, Epochen, Orte und Meister vor. Gleichzeitig gab Aydın Einblicke in die Arbeit der Autoren und stellte dazu eigene Gedichte in Anlehnung, aber auch als “Dialog” mit den Dichtern und Denkern vor. An ein paar Stellen wirkte die Vorstellung eher wie ein wissenschaftlicher Vortrag, an anderen kam der Poet in Aydın aus der Versenkung.
Insgesamt war es ein Einblick in die Arbeit eines Germanisten, der sich selbst als Poet versteht, sein Dasein als Poet lebt und der sich der Dichtkunst mit Leib und Seele verschrieben hat. Aydın bringt seinen eigenen Background in sein Wirken ein und schafft damit eine neue Dimension von Poesie, in der auch theologische Sichtweisen einen wichtigen Platz einnehmen. Als jemand, der sich in seiner Freizeit viel damit beschäftigt hat, war ich an manchen Stellen (thematisch) überfordert. An anderen Stellen habe ich mich gefragt, ob das Publikum versteht, was Aydın da ausdrückt oder versucht auszudrücken.
Über Lyrik und Poesie kann man streiten
Aydın hat dennoch zu keiner Zeit das Publikum wirklich gelangweilt. Es war eher so, dass je länger der Vortrag dauerte, desto mehr und genauer hingehört wurde, was er von sich gegeben hat. Ich vermute, es lag auch daran, dass die Aussprache und Stimme von Aydın für norddeutsche Ohren etwas gewöhnungsbedürftig war. Wenn man sich dann aber nach kurzer Zeit an die Stimme und Aussprache gewöhnt hatte, ging es eigentlich. Zumindest habe ich das so empfunden.
Nach einer weiteren musikalischen Darbietung und einem am selben Tag vor Ort und Stelle geschriebenen Gedicht von Aydın endete der Abend mit einer Fragerunde. Im Anschluss gab es die Möglichkeit, bei köstlichen Spezialitäten und Getränken, in den Austausch zu gehen und den Abend ausklingen zu lassen. Aydın nahm sich dabei auch für Rückfragen viel Zeit, was ich an dieser Stelle lobend erwähnen möchte.
Wenig Raum für Kunst und Kultur
Kunst und Kultur kommen in der öffentlichen Sichtbarkeit der muslimischen Realitäten leider sehr wenig vor. Sieht man von einigen Poetry-Slam-Formaten ab, bleibt wenig von der reichen Kultur und Vielfalt muslimischen Lebens in Deutschland übrig. Das liegt auch häufig daran, dass muslimische Verbandsarbeit Kunst und Kultur in der Mitte des muslimischen Lebens einen winzigen Raum geben. Dennoch suchen sich gerade in diesem Milieu die Menschen ihre Nischen in der muslimischen Community.
Gestern Abend ist es gelungen, einer solchen Nische einen öffentlichen Platz zu geben. Sicher, Poesie und Lyrik sind nicht unbedingt so populär. Doch ein Anfang wurde gelegt und es bedarf sicherlich mehr Anstrengungen, um der noch sehr unbekannten Landschaft in diesem Genre der muslimischen Lebenswirklichkeiten in Deutschland zu weiterem Erfolg zu verhelfen.
Um mal ein Bild aus dem gestrigen Abend nachzuzeichnen. Vor mir saß ein Pärchen (sichtbar nicht-muslimisch; fragt mich nicht, woran ich das festmache!). Im Laufe der Lesung legte die Frau ihren Kopf auf die Schulter Ihres Partners und beide lauschten verliebt den Gedichten von Aydın. Man spürte, dass hier etwas gepasst hat. Und vielleicht reicht es aus, wenigstens das Herz von ein paar Menschen mit der Kunst und Kultur des eigenen Seins erreicht zu haben.