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Impostor-Syndrom. So nennt sich das, wenn man das Gefühl hat, ein Hochstapler zu sein. So geht es mir immer häufiger in beruflichen Fragen. Es ist schwierig für mich gewesen, nach dem Bildungsaufstieg auch den finanziellen Aufstieg zu schaffen. Meine persönliche Vita ist nicht gerade einfach verlaufen und kann sich nicht mit denen der Personen messen, die gleich einen Doppel-Bachelor ablegen oder ein Auslandsstudium mit Master absolvieren.
Ich habe keine Auslandserfahrung und selbst den Abschluss an der UHH habe ich nie gemacht. Das war ein Sonderweg – zumal ich allen Jugendlichen immer erklärt habe, sie müssten ihren Abschluss machen. Doch die Bedingungen waren bei mir anders. Ich war das einzige Kind von Gastarbeitern in meiner Familie, das studieren konnte. Ich habe nur das falsche studiert, wenn man mich heute fragt. Und ein Abschluss hätte mich auch nicht weiter gebracht, selbst in dieser Kultur der Abschlussfanatiker.
Alles in einem Nebenleben
Ich konnte am Ende mit den ganzen Bilanzen, dem Rechnungswesen, Operations Research und der Wirtschaftsinformatik nicht etwas anfangen, was mir Spaß gemacht hat. Ich hatte all das, was ich konnte, bereits in meiner Freizeit und noch dazu als billige ehrenamtliche Kraft, getan. Und einen Job in dieser Größenordnung gab es nicht. Ich war Projektmanager, Marketing-Manager, Consulter, Erzieher, Mentor, Lehrer, Webdesigner, Programmierer, Theologe, Öffentlichkeitsreferent und Sozialarbeiter in Personalunion.
AFS war im Nachgang betrachtet, das beste was mir passieren konnte. Ein Träger der freien Jugendhilfe, wo ich sowohl meine Kenntnisse im Marketing schärfen, verbessern und einsetzen konnte, als auch meine Erfahrung aus der Jugendarbeit einbringen konnte. Es passte mehr oder weniger, auch wenn ich mich manchmal schwergetan habe.
Gut sein im Job reicht nicht
Am Ende bin ich aber dennoch gewechselt, auch aus finanziellen Gründen. Die Welt des SEM hatte mich schon bei AFS gepackt. Mein neuer Arbeitgeber hat mich in dem Bereich eingestellt und ich arbeite an spannenden Projekten, über die ich nicht viel erzählen kann. Ich kann nur so viel sagen: Rein von den Zahlen her, leiste ich hervorragende Arbeit 😉 Ich bin also ausgezeichnet in meinem Job.
Und dann schaut man sich gelegentlich um. Und sieht sich Stellenausschreibungen an. Man möchte ja nichts verpassen. Ich habe in den letzten Wochen bestimmt mehrere Dutzend Stellenausschreibungen angeschaut, die auf mein Profil passen würden. Aber in fast allen Stellenausschreibungen habe ich mich am Ende nicht wirklich wiedergefunden. Es fehlte auch häufig die Herausforderung.
Unsicherheit als Lebensgefühl
In solchen Momenten kommt es wieder hoch. Dieses Gefühl von Unsicherheit, von der Angst in sich tief drin, wie es nur Personen mit Migrationsgeschichte kennen. “Bin ich überhaupt ein echter SEO?”, lautet dann die Frage, die man sich selbst stellt. Natürlich ist man ein SEO, wenn man schon seit Jahren als SEO arbeitet und noch dazu so erfolgreich. Aber man ist erstaunlich gut darin, sich selbst schlechtzureden.
In meinen Trainings mit Jugendlichen habe ich immer erklärt, dass man in Bewerbungsgesprächen selbstbewusst auftreten soll. Ich selbst habe damit immer gepunktet. Aber auf der anderen Seite, sollte man auch nicht so tun, als hätte man Fähigkeiten, die man eigentlich nicht hat. Und trotzdem bleibt sie da, diese Unsicherheit. Ist man wirklich so gut, wie man glaubt?
Sie wollten mich versagen sehen
Ich gehe dann in Gedanken noch einmal jeden einzelnen Schritt meines Lebens durch. Ja, ich hatte Glück. Ich habe einen Neustart mit Mitte 30 gewagt und mich von meinem sozialen Umfeld und meiner ideologischen Heimat getrennt. Ich habe mich von dem entfremdet, was einen großen Teil meines Lebens und meiner Gedankenwelt ausgemacht hat und habe hart mit mir selbst gekämpft, um am Ende nicht als Versager dazustehen.
Denn genau das wollten alle sehen: dass ich versage und keinen Erfolg habe. Diesen Menschen wollte ich zeigen, dass sie sich alle geirrt haben. Heute ist es anders. Ich will mir selbst beweisen, dass ich gut in den Dingen bin, die ich mache. Und vielleicht ist das jetzt auch der feine Unterschied. Mit 40 kehrt langsam aber sicher die Ruhe ein, die man braucht, um sich selbst der größte Feind zu sein.
Die Stellenausschreibungen zeigen es. Sie passen nicht mehr zu mir, obwohl sie zu meinem beruflichen Profil passen. Ich will mich nicht mehr mit dem zufriedengeben, was ist, sondern mehr haben. Und das bedeutet auch, dass man sich nicht mit Mittelmaß zufriedengibt, sondern härter und mehr an sich und den eigenen Ansprüchen arbeitet. Dazu gehört auch, dass man nicht jede x-beliebige Stelle als nächsten Karriereschritt anstrebt.