Immer wenn die Türkei erneut darüber nachdenkt, die Todesstrafe wieder einzuführen, gibt es einen Sturm der Entrüstung. Da wird dann kritisiert, gedroht und erklärt, die Türkei könne so nie Mitglied sonst wo sein. Gleichzeitig kommt dann auch eine gewisse Form von Interesse zutage und Freunde fragen mich, was ich eigentlich von der Todesstrafe halte oder was der Koran zur Todesstrafe sagt.
Die gleichen Personen haben heute die gezielte Tötung des Al-Qaida Chefs Aiman al-Zawahiri begrüßt und gefeiert. Ich finde es gut und richtig, dass einer der weltweit meistgesuchten Terroristen ausgelöscht wurde. Was mir nur auffällt: Wir bewegen uns auf ethisch fragwürdigen Gewässern. Unsere Verfassung schließt die Todesstrafe aus, wir freuen uns aber über die gezielte Tötung von Terroristen durch andere. Was nun?
Todesstrafe keine Lösung
Natürlich könnte man argumentieren, das seien ja grundverschiedene Themen. In dem einen Fall sitzt man in einem asymmetrischen Kriegszustand, bei dem man Terroristen nicht einfach mal vor den Kadi ziehen und ihnen den Prozess machen kann. Im anderen Fall handelt es sich um die nationale Verurteilung von Straftätern und aus der europäischen Historie haben wir gelernt, dass die Todesstrafe keine Lösung sein kann.
Ich sehe nur den Punkt nicht. Warum kann ein Terrorist aus moralischen, ethischen Gründen getötet werden – auch noch durch einen Drohnenangriff in einem (souveränen) Staat? Warum soll aber der Terrorist vor heimischer Kulisse, der Menschen getötet hat und festgenommen wurde, eben nicht die Todesstrafe erhalten? Wieso nicht der Massenmörder, der Kinderschänder oder Drogenboss?
Prinzipien des Rechtsstaats
Es muss uns nachdenklich stimmen, dass wir einerseits ein absolutes Tabu pflegen und andere Staaten für die Durchführung und sogar den Gedanken der Einführung einer Todesstrafe kritisieren, aber andererseits uns selbst über den gezielten Mord eines Terroristen nicht echauffieren. Gerade, weil letzterer Fall auch ohne eine rechtsstaatliche Prüfung erfolgt und allem entgegensteht, was den Rechtsstaat ausmacht. Und Tötungen mit Drohnen sollten uns ohnehin aufschrecken lassen.
Wir kritisieren ja zu Recht, dass der Iran Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung an Kränen aufhängt und der Öffentlichkeit zur Schau stellt. Wir kritisieren ja zu Recht, dass in Saudi-Arabien Regimegegner gefoltert und im Anschluss für Jahrzehnte weggesperrt und ermordet werden können. Wir kritisieren ja zu Recht, dass die Türkei mehr auf die Menschenrechte achten muss und nicht willkürlich Menschen einsperren und festhalten darf.
Opportunistisch und ethisch fragwürdig
Unsere Maßstäbe sind das, was uns ausmacht. Und wenn wir unsere eigenen Regeln nicht achten und nicht die Kritik aufbringen, an einem solchen Vorgehen, wie heute geschehen, dann müssen wir unsere moralischen Auffassungen auf die Prüfschale werfen. Und viel zu häufig, habe ich das Gefühl, dass wir sehr opportunistisch agieren. Es ist ja nicht so, dass wir mit Unrechtsregimen, wie Ägypten, Katar und anderen nicht schon länger zusammenarbeiten.
Wie kann Realpolitik also gelingen, wenn man selbst eine der wichtigsten Grundsätze unserer Verfassung – die Würde des Menschen ist unantastbar – über Bord wirft, um im Winter nicht zu frieren? Ich habe keine Antwort auf diese Fragen. Ich bin nur etwas bekümmert, dass wir mit doppelten Standards um uns werfen und zugleich opportunistisch an die Dinge herangehen. Und vielleicht muss man doch ernster hierüber sprechen, weil eine breite Debatte fehlt.